Dass der gesunkene sportliche Stellenwert nichts an seinem Status bei den Anhängern verändert hat, war schon am vergangenen Wochenende deutlich geworden. Dass für den vier Jahre lang gefeierten Tor-Helden gegen Wolfsburg (0:1) kein Platz im Spieltagskader war, hat die HSV-Fans bewegt. Ausgerechnet drei Tage nach dem Tiefpunkt der Entwicklung im bisherigen Saisonverlauf traf Robert Glatzel. Ausgerechnet bei seinem Ex-Klub. Dass der Elfmeter unberechtigt war, ist zumindest für ihn vergleichsweise unbedeutend.
"Ich muss mich ein bisschen ordnen, es war sehr emotional."
Die "Bobby"-Sprechchöre drangen schon aus dem Gästeblock, als Glatzel sich nach rund einer Stunde zur Einwechslung Richtung Außenlinie bewegte. Rund 20 Minuten später und dann nochmals nach Abpfiff der Pokalpartie donnerten sie regelrecht durch die Heidenheimer Arena. Dass auch die Teamkollegen den gebürtigen Münchner demonstrativ in den Mittelpunkt der Ovationen rückten, belegt: Der langjährige Torjäger hat durch die in der Bundesliga veränderte Ausrichtung des HSV sportlich an Boden verloren, nicht jedoch an Bedeutung für die Gruppe.
Glatzel verhehlt nicht, dass die Gefühlsachterbahn der zurückliegenden Tage, von der Kaderstreichung bis hin zum Matchwinner, aufwühlend für ihn war. "Ich muss mich ein bisschen ordnen. Es war auf jeden Fall emotionaler als normal. Es ist besonders, das entscheidende Tor machen zu dürfen, gerade bei meinem Ex-Verein und nach der Situation am Wochenende. Fußball ist schon verrückt."
Die Geschichte von Glatzel beim HSV ist keine gewöhnliche. Drei gescheiterte Anläufe nahm er mit den Hanseaten Richtung Bundesliga, nach jedem hatte er die Möglichkeit, den Aufstieg persönlich zu vollziehen, entschied sich aber jeweils für einen Verbleib: "Ich will es mit diesem Verein schaffen." Als es dann endlich hochging, spielte er über weite Strecken der Saison keine Hauptrolle mehr, weil ihn ein Sehnenabriss fünf Monate stoppte. Und jetzt, da der HSV oben angekommen ist, setzt Merlin Polzin vermehrt auf Umschaltspieler und damit weniger auf den klassischen Mittelstürmer.
"Mir war klar, dass ich den Elfmeter schieße"
Heidenheim wurde auch deshalb zum Glatzel-Spiel, weil der HSV überaus dominant auftrat, spätestens in Überzahl ein gewaltiges Plus an Ballbesitz hatte und damit auf Strafraumpräsenz angewiesen war. Als der schwache Schiedsrichter Benjamin Brand nach dem Zweikampf zwischen Julian Niehues und Fabio Vieira zu Unrecht auf den Punkt zeigte, war sein Moment gekommen. Er sagt: "Mir war klar, dass ich den Elfmeter schieße."
Zuletzt gegen Wolfsburg hatte Sturm-Konkurrent Ransford Königsdörffer verschossen, Glatzel blieb eiskalt. Obwohl er verrät, dass die Momente bis zur Ausführung aufgrund der Heidenheimer Proteste quälend lang waren. "Je länger es gedauert hat, desto mehr denkt man natürlich nach. Aber ich habe einfach versucht, mich auf meinen Ablauf zu konzentrieren und auf die Ecke, in die ich schießen wollte."
Der Rest war Jubel, und dass dieser besonders intensiv ausfiel, weil ausgerechnet er getroffen hatte, registriert Glatzel sehr genau. "Es war sehr emotional für mich. Die Unterstützung der Fans ist unglaublich." Er sagt: "Dass sie mich so unterstützen, ist alles andere als selbstverständlich, es ist überwältigend."
Glatzel schoss den HSV ins Achtelfinale und sich selbst in Heidenheim zumindest für einen Abend wieder in den Mittelpunkt - aber welchen Einfluss hat sein Tor auf die eigenen Perspektiven? An der Spielidee von Polzin ändert sich nichts, zumal die Entwicklung der Mannschaft zuletzt in die richtige Richtung wies. Schon am Sonntag in Köln ist wieder deutlich weniger Ballbesitz zu erwarten. Und damit auch wieder weniger Glatzel? Der will wieder regelmäßiger in den Mittelpunkt und demonstrieren, dass er mit seinen Fähigkeiten auch in die Bundesliga passt: "Natürlich denke ich, dass ich der Mannschaft helfen kann und in den Kader gehöre."