Denn nicht selten stehen sich diese beiden Aspekte diametral gegenüber in den deutschen Vereinen: Auf der einen Seite der Wunsch potenzieller oder bestehender Investoren sowie privater Geldgeber nach möglichst viel Beinfreiheit. Auf der anderen Seite der Wunsch insbesondere der aktiven Fanszene nach möglichst großem Einfluss. Beide Anliegen sind erstmal nachvollziehbar. Wer Geld gibt, möchte bestimmen, was damit passiert. Wer Herzblut und einen hohen Anteil seiner Freizeit und selbstverständlich ebenso Bares, etwa in Form von Eintrittskarten und Fahrtkosten, investiert, erhebt nicht zu Unrecht den Anspruch, bei wichtigen Entscheidungen seines Lieblingsklubs mitreden zu wollen.
Studie passt zu den Hausaufgaben des Kartellamts
Am Ende geht es, wie beim großen Über-Thema im deutschen Fußball, 50+1, um einen vernünftigen Kompromiss zwischen diesen beiden Spannungsfeldern. Diese Erkenntnis ist aktueller denn je, schließlich hat das Bundeskartellamt die 36 Klubs der Deutschen Fußball-Liga (DFL) gerade dazu aufgerufen, mit Blick auf die Förderausnahmen Bayer Leverkusen und VfL Wolfsburg, das Spannungsfeld Hannover 96 sowie die eingeschränkte Mitgliedschaft bei RB Leipzig zu handeln. Sonst droht 50+1 zu kippen. Die Wettbewerbswächter wollen Teilhabe sicherstellen.
Zu den neuen Hausaufgaben des Kartellamts passend beschäftigt sich eine aktuelle Studie der Handelshochschule Leipzig (HHL) mit der Frage, wie sich Fanpartizipation strukturell messen lässt und ob großer Einfluss der Anhänger Klubs eher stärkt über die Faktoren Legitimität und Identität oder aus Investorensicht eher hemmt, weil er die Autonomie einschränkt. "Fanpartizipation oder Investoren- Autonomie? Deutschlands Profifußball am Scheideweg", heißt der Titel des 28-seitigen Papiers, verfasst von Prof. Dr. Henning Zülch, dem Doktoranden Konstantin F. Krakau und dem Masteranden Florin Groth.
Fans stehen neben Identität auch für Governance
Für die Autoren "übernehmen Fans im Profifußball nicht nur eine symbolische Identitätsfunktion, sondern auch eine nicht zu vernachlässigende Governance-bezogene Rolle, da sie durch eine erhöhte Partizipation an Klubentscheidungen nachhaltig zufrieden an den Klub gebunden werden können. Somit nehmen Fans eine wirtschaftlich und sportlich relevante Stakeholderposition ein." Die HHL-Ökonomen unterteilen den deutschen Profifußball dabei in drei Modelle: Die Mitgliedsverbände im Sinne des eingetragenen Vereins, Investorenklubs und Hypridmodelle und versuchen sich daran, auf Basis bisheriger Forschungserkenntnisse einen standardisierten und vergleichbaren Rahmen zur Messung von Faneinfluss zu schaffen.
Über die jeweils unterschiedlich gewichteten Kategorien "Eigentumsverhältnisse und Stimmrechte", "Fanstrukturen und Ausdrucksformen", "Historischer Einfluss" sowie "Kulturelle soziale Inklusion" ergibt sich pro Verein ein Wert zwischen 0 und 1, wobei 1 für das Maximum des Fan-Einflusses auf die Entscheidungsfindung steht. Heißt: Je höher der Wert, desto weniger attraktiv ist ein Verein in den Augen der HHL-Autoren für Investoren, "da diese in einem solchen Kontext kommerziell motivierte Entscheidungen vermutlich nur schwierig durchbringen könnten".
"Fan-Kontrolle fördert Legitimität, doch reduziert Flexibilität"
Drei Klubtypen schälen sich heraus: fanbestimmte Klubs wie der FC St. Pauli oder der 1. FC Union, fanunabhängige Klubs wie RB Leipzig oder der VfL Wolfsburg und fanzentrierte Mischformen. Diese unterscheiden sich vor allem aufgrund der Rechtsform von den "Fanbestimmten", also durch eine Ausgliederung zum Beispiel in eine GmbH & Co. KG, die die formelle Kontrolle der Mitglieder sichert, jedoch zumindest theoretische Möglichkeiten für den Einstieg von Kapitalgebern eröffnet.
Das Fazit der Studie legt auf den ersten Blick nahe, dass Fan- und Investoreninteressen gegenläufig sind, wenn es heißt: "Hohe Fan-Kontrolle fördert die demokratische Legitimität und Verankerung im Klubumfeld, reduziert jedoch die unternehmerische Flexibilität und kann Investoren abschrecken, da umstrittene Entscheidungen verstärkt auf organisierten Widerstand stoßen. Demokratische Eigentumsverhältnisse fördern die Legitimität, begrenzen indes gleichzeitig investorenorientierte Strategien." Und weiter: "Klubs mit hoher Fanbeteiligung weisen eine ausgeprägte interne Rechenschaftspflicht und kulturelle Authentizität auf, sind aber in finanzieller Flexibilität und Entscheidungsgeschwindigkeit begrenzt. Investorenorientierte Klubs profitieren hingegen von größerer Managementautonomie und Kapitalzuflüssen, agieren jedoch häufiger mit geringerer Legitimität gegenüber ihren Stakeholdern und höherem Reputationsrisiko, insbesondere wenn Entscheidungen den Erwartungen der Fans widersprechen."
50+1 keine starre Beschränkung, sondern ein Rahmen
Allerdings schließen Zülch und Kollegen auch, "dass Fanpartizipation und Investorenattraktivität keine direkten Gegensätze darstellen". Für sie geht es eher darum, dass sich beide Seiten und im Endeffekt auch eine Vereinsführung des Spannungsverhältnisses bewusst werden müssen. Geschieht das nicht - siehe etwa TSV 1860 München, wo Investor Hasan Ismaik sich offenkundig der Bedeutung von 50+1 nicht bewusst war - kann Chaos drohen. Um die sportlich wie wirtschaftlich positiven Nebeneffekte von Fanpartizipation sinnvoll zu nutzen, braucht es "ein ausgewogenes Verhältnis zwischen partizipativer Einbindung und unternehmerischer Entscheidungsfreiheit", schreiben die Autoren. "Im Rahmen der deutschen 50+1-Regel bestimmt dieses Gleichgewicht maßgeblich die Wettbewerbsposition der Klubs, sowohl auf als auch außerhalb des Spielfelds."
In diesem Sinne funktioniere auch die streng genommen wettbewerbsbeschränkende 50+1-Regel nicht "als starre Beschränkung", sondern bilde "vielmehr einen Rahmen, innerhalb dessen Klubs wirtschaftliche und partizipative Prioritäten austarieren". Das Papier zur Studie gibt es auf der Webseite der HHL.