Aus Neapel berichtet Julian Franzke
Unter normalen Umständen wäre Neapel ein Traumlos im Europapokal. Für den Spieltag sind 20 Grad und strahlender Sonnenschein vorhergesagt. In der Altstadt und im spanischen Viertel wimmelt es nur so vor gemütlichen Bars und Cafés, an jeder Ecke gibt es leckere Pizzerien und Trattorien. Neapel sprüht vor Lebensfreude und Leidenschaft, inhaliert und vergöttert den Fußball. An unzähligen der meist bröckelnden Hausfassaden wird Diego Armando Maradona als "Dios" verehrt.
1984 wechselte Maradona nach Neapel, wo er die Tifosi sieben Jahre lang verzauberte, zwei Meisterschaften gewann, den italienischen Pokal und den UEFA-Cup. Der Geist des vor fünf Jahren verstorbenen Argentiniers scheint noch immer durch die engen Gassen zu schweben. Man fragt sich, wer das bedeutendste Wahrzeichen der Stadt ist: Maradona oder der Vesuv? Letzterer kommt bei Google auf knapp 8200 Bewertungen, der Murale Diego Armando Maradona im Spanischen Viertel, ein Platz zu Ehren des Dios, auf über 20.000 ...
Die reisefreudigen Fans der Eintracht kommen leider abermals nicht in den Genuss, diese einzigartige Stadt in Augenschein zu nehmen. Dabei sind es genau solche Reisen, die den Reiz des europäischen Wettbewerbs für die Anhänger ausmachen. Die Behörden erließen jedoch bereits vor Wochen ein Gästefan-Verbot - wie bereits beim letzten Duell im Achtelfinale der Champions League im März 2023.
Ausschreitungen beim letzten Duell
Frankfurter Ultras und Hooligans reisten damals trotzdem an und lieferten sich eine wüste Straßenschlacht mit Hooligans aus Neapel und der Polizei. Ein sinnvolles Sicherheitskonzept gab es offenkundig nicht. Dario Minden, Leiter der Eintracht-Fanabteilung, sagte der DPA: "Wenn es Repressalien gibt, dann stellen sich die Behörden hinterher immer hin und sagen: Ja seht her, wie wichtig es ist, dass wir die Repressalien gemacht haben, sonst wäre das alles noch viel schlimmer ausgeartet. Dass in den Repressalien erst der Anstoß lag, das wird nicht gesehen."
Das noch größere Problem bestand damals allerdings darin, dass es die Polizei nicht vermochte, die Gruppierungen voneinander zu trennen. Die Frankfurter wurden am Tag des Spiels von ihrem Hotel zu einem zentralen Platz eskortiert, der dann von behelmten und teils bewaffneten Neapolitanern angegriffen wurde. Das hätte auch ohne Repressalien passieren können.
Mit Ausschreitungen wird dieses Mal nicht gerechnet, ausschließen lassen sie sich nicht. Die Bild berichtete am Montag, dass sich rund 500 Frankfurter auf den Weg nach Neapel gemacht hätten. Die Eintracht wies das zurück, eine derartige Anzahl sei "mitnichten zu erwarten". Vor zweieinhalb Jahren waren auch deshalb so viele Frankfurter in Neapel, weil der Erlass mit dem Ticketverbot sehr kurzfristig kam. Die meisten hatten die Reise bereits gebucht und bezahlt. Abgesehen von Hooligans und Ultras waren auch normale Fans angereist, die sich inkognito die Stadt anschauten.
Kontrollen am Flughafen
"Ich halte es für äußerst unrealistisch, dass wieder so viele Eintracht-Fans nach Neapel reisen. Und wir raten auch aufgrund der Sicherheitslage allen davon ab, sich dort aufzuhalten. Neapel ist nicht sicher für Eintracht-Fans in diesen Tagen", sagt Minden. Die Stadt sei ein "heißes Pflaster".
Am Montag gab es bereits am Frankfurter Flughafen stichprobenartige Personenkontrollen am Abfluggate. In Neapel wurden nach der Ankunft des Fliegers alle Pässe überprüft und die Passagiere gefilmt. Das Spiel schlägt im Vorfeld so hohe Wellen, dass Italien für zwei Tage das Schengen-Abkommen aussetzte. Ein wenig politischer Populismus.
Nicht erfolgreich war die Eintracht mit einem Vorstoß bei der UEFA, das Spiel an einen anderen Ort zu verlegen oder ein Geisterspiel durchzuführen. Eintracht-Vorstand Philipp Reschke erklärte: "Das Regelwerk der UEFA gibt den von behördlichen Gästefan-Ausschlüssen einseitig betroffenen Klubs und auch dem Verband selbst noch kein Instrument an die Hand, gegen diese Praxis und den daraus folgenden atmosphärischen und damit sportlichen Wettbewerbsnachteil vorzugehen oder ihn zumindest auszugleichen."
Allerdings teilte die Eintracht mit: "Die UEFA bestätigte in ihrer Mitteilung, sich in Anbetracht der zunehmenden Ausschluss-Praxis mit der Anpassung der Regularien intensiv zu befassen." Das hatte UEFA-Boss Aleksander Ceferin bereits 2023 rund um das Spiel zwischen Neapel und der Eintracht angekündigt. Er muss sich an seinen Worten messen lassen.
Der Fan-Ausschluss sorgt auf jeden Fall für reichlich Frust, auch bei SGE-Sportvorstand Markus Krösche, wie er in der Bild nochmal klarstellte: "Für unsere Mannschaft sind diese Maßnahme und der Ausschluss von unseren Fans ein sehr harter Schlag. Es ist ein absolutes Unding. Und so deutlich muss man es sagen: In einem Wettbewerb wie der Champions League, eine klare Wettbewerbsverzerrung!"
Flaschenwürfe und eine geraubte Rolex
Heiß her ging es in Neapel bereits 1994, als die Hessen im Achtelfinale des UEFA-Cups am Vesuv antraten - und wie bereits im Hinspiel 1:0 gewannen, obwohl Trainer Jupp Heynckes zuvor die drei Stars Maurizio Gaudino, Jay-Jay Okocha und Anthony Yeboah suspendiert hatte. "Gegen Ende stand das Spiel kurz vor dem Abbruch, weil aufgebrachte Neapel-Fans Flaschen aufs Spielfeld warfen", stand im kicker.
Dem Kollegen Peppi Schmidt (Wiesbadener Kurier), der damals vor Ort war, rutschte das Herz schon vor dem Spiel in die Hose. Aus gutem Grund. In einer Kolumne fürs Eintracht-Stadionmagazin schilderte er eine Begebenheit, in der eine Pistole und eine Rolex die Hauptrollen spielten: "Wir saßen zu viert in einer Pizzeria, ich mit dem Rücken zum Eingang. Einer meiner Kumpels, nennen wir ihn Joachim, mir gegenüber, am Arm eine doch ziemlich auffällige Uhr. Es war eine Rolex, wie ich ein paar Minuten später erfahren habe.
Hinter mir war plötzlich Unruhe, es gab Geschrei, noch bevor die Pizza auf dem Tisch stand. Über meiner Schulter lag auf einmal ein Arm, in der Hand eine Pistole. Nein wirklich, ein ganz schlechter Film. Vorsichtshalber habe ich schon mal meinen Geldbeutel auf den Tisch gelegt, man muss es mit dem Mut ja nicht übertreiben. Aber ums Geld ging es nicht, es ging um die Uhr. Ein zweiter Räuber zerrte und zoppelte an Joachims Arm, wir anderen habe nur geschrien: 'Gib ihm doch endlich die blöde Uhr.' Inzwischen waren die Pizzabäcker alarmiert. Zwei kräftige Italiener, 'bewaffnet' mit Baseballschlägern, sprangen über den Tresen und die Tische. So schnell die Gauner gekommen waren, so schnell waren sie wieder weg. Die Uhr allerdings auch."
Neapel ist eben ein heißes Pflaster. Am Dienstagabend steht dann endlich das Sportliche im Vordergrund. Nach der Abreibung beim letzten Mal (0:3) hat die Eintracht noch eine Rechnung offen. Immerhin: Ein gewisser Victor Osimhen, der nach seinem Tor im Hinspiel zu Hause sogar doppelt traf, spielt inzwischen ganz weit weg in Istanbul ...