Der Blick aus dem Presseraum der Wolfsburger Arena offenbarte trübes Novemberwetter, das die Stimmungslage beim DFB-Gastgeber VfL vortrefflich abbildet. Die Lage rund um die Nationalelf hat sich aufgehellt durch zwei Siege im Oktober, die zwar nicht glanzvoll waren, aber eben wieder Platz 1 in der Qualifikationsgruppe beschert haben. "Wir sind noch nicht durch, aber wir sind auch nicht abhängig von anderen", sagt Nagelsmann, "unsere Ausgangslage ist ordentlich nach dem schlechten Start, aber wir müssen sie auch nutzen."
Der Bundestrainer hat sich während seiner Pressekonferenz zum Start dieser für die WM-Qualifikation entscheidenden Tage nicht in Floskeln geflüchtet, er hat klare Worte gewählt. Er fordert seine Mannschaft im Verbund, wenn es um die Spielweise geht, er fordert aber auch Einzelne öffentlich auf, sich zu zeigen.
Im zurückliegenden Lehrgang hatte er nach dem fahrigen September den Fokus auf Solidität und defensive Verlässlichkeit gelegt. So sehr er diesen Auftrag erfüllt sah, so klar macht er auch, dass er sich trotz defensiver Aufmerksamkeit von seinem Kader wieder mehr Fantasie im Vorwärtsgang erwartet. "Die Defensive bleibt das Wichtigste, aber wir waren offensiv nicht gefährlich genug. Wir müssen auch wieder mehr offensive Gefahr erzeugen."
Unter diesem Gesichtspunkt hat er auch sein Personal ausgewählt und zumindest zwei Profis nominiert, die eher im Gewand der Überraschungskandidaten daherkommen: Said El Mala und Leroy Sané. Der eine, weil er noch nicht einmal ein Dutzend Bundesligaspiele absolviert hat und Nagelsmann auch am Montag nochmals unterstrich, dass er eigentlich kein Freund von zu frühen Berufungen ist.
Und der andere, weil er vom Coach im September kritisiert wurde und seitdem lediglich einen leichten Aufwärtstrend aufweist. Aber Nagelsmann unterstreicht: "Es geht bei der Nominierung auch um Profile." Unter anderem deshalb sind El Mala und Sané dabei - und Angelo Stiller beispielsweise nicht. Den Stuttgarter sieht der Chef zwar wieder im Aufwind, wollte aber hinter Aleksandar Pavlovic und Felix Nmecha keinen dritten Sechser.
El Malas Premiere im Kreise des DFB-Kaders verknüpft Nagelsmann vor allem mit dieser Erwartung: "Ich will ihn im Training sehen, beobachten, wie er sich in der Gruppe bewegt. Generell bin ich kein Freund davon, Spieler zu früh zu hypen, aber natürlich geht es darum, ein Gespür dafür zu bekommen, ob er für die WM schon in Frage käme." Neben El Mala nennt er auch Lennart Karl, Assane Ouedraogo und Nicolo Tresoldi als Kandidaten, die er mit Blick auf den Sommer 2026 im Visier habe.
"Unzählige Chancen wird Leroy nicht mehr bekommen"
Ob Sané dann noch zum Kreis derer gehört, die sich Hoffnungen machen dürfen, hängt ganz wesentlich von dessen Auftritten in diesen Tagen ab. Ungewohnt deutlich sagt Nagelsmann, dass der im Sommer vom FC Bayern zu Galatasaray Istanbul gewechselte Offensivstar die Forderung einer starken Quote "noch nicht zu 100 Prozent erfüllt hat." Und dann nochmal: "Seine Nominierung ist auch seinem Profil geschuldet." Dann wird er noch deutlicher: "Unzählige Chancen wird Leroy, zumindest unter meiner Führung, nicht mehr in der Nationalmannschaft bekommen. Er ist ein Spieler, der alles kann, aber auch alles bringen muss. Seine Leistung ist verbessert, aber er hat noch Schritte zu gehen."
Dass sich Nagelsmann nicht nur mit Blick auf das große Ganze, sondern auch in Bezug auf Einzelne derart im Klartext-Modus befindet, verdeutlicht einerseits, dass sich die Nationalelf in dieser Länderspiel-Periode in einer Situation befindet, in der keine Ausreden mehr gestattet sind, er unterstreicht im Fall Sané jedoch auch: "Ich kann das deshalb auch öffentlich so klar sagen, weil ich auch mit ihm so klar kommuniziert habe."
Klar scheint nach Nagelsmanns Auftritt vom Montagmittag: Er nutzte diesen auch, um letztmalig die Sinne zu schärfen. Bei Einzelnen im Speziellen, aber ganz grundsätzlich auch bei allen. "Wir haben keine Möglichkeiten mehr für einen Ausrutscher."