Eine Kolumne von Hannah Nitsche
42. Spielminute in der Buderus Arena. Der Lärmpegel ist hoch, ein warmer Puls aus Musik, Rufen, Trommeln liegt über dem Spielfeld. 19:19 steht es im Spiel gegen den VfL Gummersbach - ein Duell auf Augenhöhe, die Stimmung elektrisiert. Dann, mitten hinein in die aufgeheizte Kulisse, bricht eine Stimme aus den Lautsprecherboxen: "Wir brauchen ganz dringend einen Sanitäter oben im Gästeblock." Spielunterbrechung.
Es ist, als würde jemand den Stecker ziehen. Kein Prellen, kein Applaus, keine Rufe - die Arena hält den Atem an. Hier, in diesen Sekunden, rückt der Sport in den Hintergrund. Jeder ist gedanklich bei der betroffenen Person, die Hilfe benötigt. Und wir - Crew, Producer, Kommentator, Moderation - stehen mitten in einer Live-Sendung, in der plötzlich etwas passiert, wofür es keinen Ablaufpunkt im Sendeplan gibt. Wie gehen wir On Air damit um?
Bewusste Entscheidung für Stille
Wir wissen zunächst nicht mehr als die Zuschauenden. Wir warten. Und treffen die erste Entscheidung: sachlich informieren, nicht spekulieren, und Stille zulassen.
Kommentator Lennart Wilken-Johannes erklärt die Unterbrechung auch für die, die erst später zugeschaltet sind. Kein Blick zurück auf Spielzüge, keine Analyse der bisher erzielten Tore. Stattdessen zeigen wir eine Infotafel "Medizinischer Notfall - 10 Minuten Unterbrechung" und lassen Stille zu.
Während die Kamera auf das ruhende Spielfeld und fragende Gesichter im Publikum schaut, beginnt hinter den Kulissen ein intensives Arbeiten. Der Aufnahmeleiter am Spielfeldrand spricht mit Offiziellen, versucht die Situation einzuschätzen. Über Funk tauschen sich der Leiter der Sendung, Producer und ich, Moderatorin, aus.
Was planen wir bei Spielabbruch? Führen wir Interviews? Sprechen wir über das Spiel? Zwei mögliche Szenarien halten wir bereit: Abbruch - und wir beenden die Sendung unten vom Spielfeld ohne Analyse, aus Respekt. Fortsetzung - falls es der Person besser geht.
Während wir planen, bleibt ein drückendes Gefühl im Bauch. Die Gedanken kreisen um die betroffene Person. Die Stimmung in der Arena ist spürbar bedrückt - auch in den Gesichtern der Spieler, als sie nach zehn Minuten wieder aufs Feld kommen.
Köster: "Merkt man, wie nebensächlich Handball sein kann"
Dann die Nachricht, die alle aufatmen lässt: Die Person wird medizinisch versorgt aus der Halle gebracht - von lautem Applaus der Zuschauer begleitet. Ihr Zustand stabilisiert sich. Das Spiel kann weitergehen. Wir wünschen weiter gute Besserung.
Die Offiziellen beraten sich kurz. Die Schiedsrichter geben per Handzeichen eine fünfminütige Aufwärmphase vor. Danach läuft der Ball wieder. Doch die Spieler müssen mehr leisten als ihre körperliche Wiederaufnahme: Sie müssen gedanklich zurück in die 42. Minute - in einem Moment, in dem der Sport gerade seine Bedeutung verloren hatte.
Am Ende gewinnt Gummersbach mit 31:29. Kapitän Julian Köster sagt hinterher bei uns am Mikrofon: "Das war ein schweres Spiel - nicht nur handballerisch. In solchen Momenten merkt man, wie nebensächlich Handball sein kann. Wir hoffen zuerst, dass es dem Fan gut geht." Und weiter: "Man hat seinen Job, ja - aber man möchte, dass alle gesund nach Hause gehen. Die Gedanken sind da sehr geteilt."
Die Erkenntnis des Spiels: In solchen Momenten zeigt sich, dass Gesundheit über allem steht - auch On Air. Sport und Analyse können warten. Manche Situationen sind wichtiger als das Spiel. Und dass Live-Sport manchmal zeigt, wie dünn die Grenze ist zwischen Adrenalin und Stille, zwischen Wettkampf und Zusammenhalt.
Über die Autorin
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