Schon mal auf den Kopf gefallen?
Und damit meine ich nicht im übertragenen Sinne, sondern ganz wortwörtlich. Ich bin es - und wie viele wahrscheinlich - habe ich es erstmal nicht besonders ernst genommen. Ein Schleudertrauma. Ja gut, dachte ich, das wird schon wieder.
Aber genau das war mein Fehler: Ich habe meinen Körper überschätzt, seine Signale überhört und so getan, als könnte ich einfach weitermachen wie vorher. Über drei Monate habe ich diesen Zustand ausgehalten.
"Nichts ging mehr"
Doch die Realität sah anders aus: monatelange Nackensteife, ein Körper, der sich anfühlte, als wäre er ständig blockiert, und ein Kopf, der mir keine Pause gönnte. Aus der vermeintlich "kleinen Verletzung" wurde eine Phase, die mich physisch und psychisch an meine Grenzen gebracht hat.
Es gab Wochen, da habe ich nichts anderes geschafft, als vom Bett auf die Couch zu wechseln. Training? Undenkbar. Selbst der Alltag war plötzlich eine riesige Hürde. Meinen Job als Content Creatorin legte ich für ungefähr einen Monat auf Eis. Danach zwang mich aber die Realität als Selbständige, irgendwie weiterzumachen. Ein toxischer Cocktail, der mir zu der Zeit nicht gut tat.
Zur Definition von einem Schleudertrauma:
Ein Schleudertrauma wird durch eine ruckartige, schnelle Beugung und Überstreckung des Kopfes verursacht - etwa bei einem Aufprall oder Sturz (das passiert übrigens in Kontaktsportarten öfter, als wir denken).
Dabei werden Muskeln, Bänder und Nerven im Hals- und Kopfbereich stark überdehnt. Oft sind keine sichtbaren Verletzungen zu erkennen, doch die inneren Strukturen - besonders im Nacken - reagieren empfindlich. Typisch sind anhaltende Schmerzen, Verspannungen, Schwindel oder Konzentrationsprobleme.
Was viele nicht wissen: Diese Symptome können sich verselbstständigen, weil das Nervensystem dauerhaft in Alarmbereitschaft bleibt. Der Körper findet nicht mehr richtig zur Ruhe, und diese ständige Anspannung kann auch die Psyche stark belasten.
Ein Schleudertrauma betrifft nicht nur Muskeln und Gelenke, sondern kann auch das zentrale Nervensystem und die Psyche nachhaltig beeinflussen. Die dauerhafte Anspannung, der Schmerz und das Gefühl, "nicht mehr richtig zu funktionieren", können das Stresssystem im Körper dauerhaft aktivieren. Dadurch geraten Hormonhaushalt und Schlafrhythmus aus dem Gleichgewicht - mit Folgen für das seelische Wohlbefinden.
Keine Kontrolle mehr über den Körper
Viele Betroffene entwickeln Konzentrationsprobleme, Reizbarkeit, innere Unruhe oder Ängste. Manche erleben eine Art Erschöpfung oder depressive Verstimmung, weil der Körper sich ständig im Alarmzustand befindet und keine Erholung zulässt.
Hinzu kommt oft das Gefühl, die Kontrolle über den eigenen Körper zu verlieren - etwas, das gerade für Sportler:innen besonders schwer auszuhalten ist. All diese aufgelisteten Symptome und körperlichen Beschwerden habe ich wochen- oder monatelang durchlebt.
Wenn man dann - wie ich - zu früh wieder funktionieren will, wird es noch schwieriger. Der Schmerz kreist, der Kopf spannt weiter an, der Schlaf leidet, und irgendwann verliert man das Vertrauen in den eigenen Körper. Genau hier entsteht die psychische Komponente: aus Kontrollverlust, Dauerstress und dem Gefühl, "nicht mehr man selbst" zu sein.
Körper, Seele und Unterstützung
Das Schlimmste daran: Auch seelisch hat es Spuren hinterlassen. Ich habe depressive Phasen durchlebt, in denen ich das Gefühl hatte, gar nichts mehr unter Kontrolle zu haben. Sogar essen fiel mir schwer - ich hatte keine Energie, keinen Appetit, oft nicht einmal die Kraft, mir etwas zuzubereiten.
Ich habe innerhalb weniger Wochen sehr viel Gewicht verloren. Zum Glück habe ich in dieser Zeit meinen Partner an meiner Seite gehabt. Er hat für mich gekocht - gesund, ausgewogen und frisch - und hat versucht, mir Mahlzeiten wieder schmackhaft zu machen, um mir so ein Stück Normalität zurückzugeben.
Rückblickend war das einer der Schlüssel: kleine Routinen, gute Ernährung und die unermüdliche Fürsorge eines Menschen, der nicht locker gelassen hat.
Ein Wendepunkt
Heute weiß ich: Mein Schleudertrauma hat mir mehr beigebracht, als es mir genommen hat. Ich habe gelernt, dass Heilung Zeit braucht und dass Stärke darin liegt, Schwäche zuzulassen. Ich habe gelernt, dass Pausen genauso wichtig sind wie Training - und dass Körper und Seele beides brauchen: Ruhe und eine gute Versorgung.
Und genau da schließt sich der Kreis: Ernährung ist für mich heute nicht mehr nur Mittel zum Zweck, sondern ein Teil der Selbstfürsorge. Frische Zutaten, einfache Basics und das Bewusstsein, meinem Körper das zu geben, was er braucht - das alles ist kein Luxus, sondern notwendig, damit ich in Balance bleibe.
Mein Schleudertrauma war also kein Ende, sondern ein Wendepunkt. Es hat mich gezwungen, hinzuschauen - und zu verstehen, dass man manchmal erst "auf den Kopf fallen" muss, um wirklich zu begreifen, was einem guttut.
Heute spiele ich nicht mehr Handball in der Bundesliga, aber ich kann für meinen Sport auf anderen Ebenen kämpfen. Ich kann dafür sorgen, dass der Handball eine andere Aufmerksamkeit generiert und die nächsten sehr wichtigen Schritte in Richtung Digitalisierung macht.
Josefine Schneiders ist eine der lautesten Stimmen des Handballs. Auf Instagram legt sie regelmäßig den Finger in die Wunde und spricht vor 45.000 Follower*innen über Gleichberechtigung, mentale Stärke und strukturelle Probleme im Sport. Die 25-Jährige schnürte bis in den Winter selbst noch die Schuhe für die TSG Bretzenheim in der 2. Liga, ehe eine Verletzung sie ausbremste.» zum Instagram-Profil von Josefine Schneiders
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