Wir hatten die Möglichkeit, sie in Sölden im Rahmen des 50-Jahre-Jubiläums von Eisbär zu treffen. Man merkte ihr definitiv an, wie glücklich sie über ihr neues Lebenskapitel ist. Ihr Strahlen war richtig ansteckend und es entwickelte sich ein sehr ehrliches und offenes Gespräch. Darin gewährte uns die sympathische Super-G-Weltmeisterin spannende Einblicke in ihre Karriere und in ihr Leben abseits des Weltcups.
Stephanie Venier, wie geht es dir im Ski-Ruhestand?
Venier: Mir geht es wirklich sehr, sehr gut. Es ist wirklich angenehm, den Sommer ohne Druck verbringen zu können - auch einmal länger schlafen zu können, ohne den Zwang zu verspüren, ein Konditionstraining absolvieren zu müssen. Man kann einfach einmal das machen, worauf man Lust hat. Es ist auch sehr schön, am Abend länger sitzen bleiben zu können, ohne den Gedanken zu haben, dass man am nächsten Tag wieder früh trainieren gehen sollte. Das passt mir sehr gut, und es läuft alles nach Plan.
Du verspürst demnach überhaupt keine Reue, dass du zurückgetreten bist?
Nein, überhaupt nicht. Mir hat den Rücktritt vor allem erleichtert, dass ich selbst entscheiden konnte, aufhören zu wollen. Ich musste nicht zurücktreten, denn ich war nach wie vor im Kader von Ski Austria und lieferte gute Ergebnisse. Ich darf nun auch ohne eine Verletzung in den Ruhestand gehen, und deswegen ist mir die Entscheidung - mit meinen Erfolgen der letzten Saison, insbesondere dem Weltmeistertitel in Saalbach - deutlich leichter gefallen.
Blicken wir nochmals kurz auf deine tolle Karriere zurück. Am 12. Januar 2013 hast du in der Abfahrt von St. Anton deine Feuertaufe im Weltcup erlebt. Welche Erinnerungen hast du heute noch an diesen Tag?
Als ich am Start oben stand, wusste ich nicht, ob ich weinen oder lachen soll. Freude darüber, dass es mein erstes Rennen im Weltcup war, aber auch Zweifel, ob ich das wirklich ein ganzes Leben lang machen will. Es war nämlich so unglaublich schwierig, und mir sind sogar die Tränen gekommen. Ich habe mich letztlich aber durchgebissen und durchgekämpft, und es kamen in der Folge auch einfachere Rennen. Meine Feuertaufe in St. Anton war definitiv eines der schwierigsten Rennen, die wir damals hatten. Es war eisig und hatte Schläge. Jetzt bin ich einfach froh, dass ich gesund geblieben bin und gekämpft habe. Es waren nicht immer einfache Zeiten, mit Tiefs und Hochs. Ich bin aber immer die Stephi geblieben, die ich sein wollte. In St. Anton hat es damals angefangen, und in Saalbach hat es dann geendet. Das war ganz cool.
Weisst du noch, wo du deine ersten Weltcuppunkte eingefahren hast?
Ja, das war in Beaver Creek mit dem 27. Rang im Super-G (am 30.11.2013).
Das war bestimmt ein ganz spezieller Moment für dich, oder?
Ja, definitiv, denn bei jenem Rennen war es gar nicht sicher, dass ich überhaupt starten darf. Wir waren viel zu viele Mädels und mussten um die Startplätze kämpfen. In einer internen Qualifikation habe ich dann den Startplatz erhalten, und das war definitiv ein Moment, den man nicht so schnell vergisst.
In Beaver Creek holte ich demnach meine ersten Weltcuppunkte, und es war auch in Beaver Creek, wo ich kurz davor stand, alles hinzuschmeissen. Aus diesem Grund verbinde ich mit diesem Ort gemischte Gefühle.
Die grossen Erfolge sind natürlich das, was wohl am meisten bleibt. Doch gibt es auch andere Dinge abseits von Podestplätzen, Siegen und Medaillen, an die du immer mit einem Lächeln im Gesicht zurückblicken wirst?
Während meiner Karriere sind schon ein paar tolle Freundschaften entstanden, auch mit anderen Nationen. Zum Beispiel habe ich mich mit Michelle Gisin sehr gut verstanden, und wir haben nach wie vor Kontakt. Auch mit Kira Weidle aus Deutschland verstehe ich mich prima. Es haben sich Freundschaften entwickelt, bei denen man sich gegenseitig geholfen hat, und darauf schaue ich schon sehr gerne zurück. Wir waren letztlich wie eine grosse Familie, da wir so oft zusammen unterwegs gewesen sind. Das war schon ganz cool.
Mit wem wirst du wohl noch bis an dein Lebensende eng verbunden bleiben?
Schwierig. Ich sehe auch jetzt, dass ich wenig Zeit hatte, um Freundschaften pflegen zu können. Wenn man dann aber die Leute nach einem halben Jahr wieder einmal trifft, war es so wie immer. Ich finde es darum nicht wichtig, dass man ständig in Kontakt bleibt, sondern dass man, wenn man sich wieder einmal trifft, sich erneut auf Augenhöhe begegnet und den gleichen Spass hat wie zuvor. Ich kann mir aber gut vorstellen, dass ich mit der einen oder anderen über längere Zeit verbunden bleibe, weil uns der Skisport schon extrem geprägt hat.
Rivalitäten gehören im Profisport ebenfalls dazu - im Skisport besonders jene zwischen der Schweiz und Österreich. Ist das in erster Linie ein Medienthema, oder gibt es zwischen den Schweizer und österreichischen Athletinnen tatsächlich eine grosse Rivalität?
Ich glaube, das wurde schon von den Medien ein wenig aufgebauscht. Wenn wir am Start oben stehen, sind wir keine Freunde, sondern Rivalinnen - das ist auch jedem bewusst. Wenn im Ziel dann aber eine andere etwas schneller ist, ärgert man sich zwar für einen Moment, weil man denkt, das hätte ich auch draufgehabt. Aber letzten Endes war man an diesem Tag einfach nicht schneller, und das ist dann halt so. Darum würde ich schon sagen, dass die Medien immer ein bisschen mehr daraus machen, als es in Wirklichkeit ist.
Zuletzt hatte die Schweiz dreimal in Folge in der Nationenwertung die Nase vorn. Hast du eine Erklärung dafür, warum die Schweiz derzeit die Skination Nummer 1 ist?
Ich glaube, die Schweiz hat in den letzten Jahren sehr viel Nachwuchsarbeit geleistet und dort wirklich gut gearbeitet. Es gab auch Jahre, in denen die Schweiz nicht ganz vorne mitgemischt hat, aber dann haben sie alle Kraft und alles Können in den Nachwuchs gesteckt - und nun profitieren sie davon. Die Schweiz hat einige junge Athletinnen und Athleten, die bereits vorne mitfahren können. In dieser Hinsicht hat die Schweiz einfach vieles sehr gut und richtig gemacht.
Rückschläge, Enttäuschungen und Frust gibt es in jeder Karriere. Was würdest du sagen, war für dich der schmerzhafteste Moment deiner Laufbahn - abgesehen von Verletzungen, die leider ebenfalls Teil des Geschäfts sind?
Der schmerzhafteste Moment für mich waren sicherlich die zwei Jahre, in denen ich vor allem hinterhergefahren bin. Das war 2021 und 2022, und damals wusste ich auch gar nicht mehr, ob das überhaupt noch das ist, was ich machen will, oder ob ich es nicht besser sein lassen soll. Ich war wirklich kurz davor, dass ich den Deckel zumache und den Hut darauf werfe. Es kann mir nämlich niemand erzählen, dass Skifahren lässig ist, wenn man nur um den 30. Platz herumfährt. Natürlich ist Skifahren an sich schön, aber nur, wenn man auch vorne mitmischen kann. Ein Skiwechsel zu HEAD hat mir dann richtig gutgetan, und Rainer Salzgeber (Anmerkung der Redaktion: Race Department Director von HEAD) hat mich extrem unterstützt. Wir waren auf einer Wellenlänge. Ich durfte auch meine eigenen Ideen einbringen, und dann hat das Ganze wieder angefangen zu funktionieren. In Crans-Montana, das immer eines meiner Lieblingsrennen gewesen ist, hat es dann wieder zu laufen begonnen - und das war ein sehr schönes Gefühl.
2019 hast du die kleine Abfahrtskugel als Zweite in der Gesamtwertung knapp verpasst. War die Enttäuschung damals sehr gross, oder hat es geholfen, dass mit Nicole Schmidhofer eine Landsfrau gewonnen hat?
Näher dran an der Abfahrtskugel war ich 2024, als ich wirklich eine ganz starke Saison hatte. Dort war die Enttäuschung sicher noch etwas grösser. Ich habe jedoch ein grossartiges Umfeld, und meine Familie hat mich enorm unterstützt. Es waren letztlich nur die zwei oder drei Stunden danach, als ich die Kugel nicht holen konnte, ziemlich zäh. Aber dann haben mir alle eingeredet, dass ich stattdessen einfach WM-Gold in Saalbach holen solle - und dadurch hatte ich wieder ein Ziel vor Augen. Ich konnte mich voll auf die WM konzentrieren, hart trainieren, und letztlich hat es funktioniert.
Zur Schattenseite des Profisports gehören auch Hasskommentare. Du bist sehr aktiv auf Social Media - wie bist du mit solchen Kommentaren umgegangen?
Ich bin sehr gerne auf Social Media aktiv und sehe vor allem das Positive. Ich habe viele junge Fans, und meine Community möchte auch Dinge von mir sehen. Ich bin keine, die ein Blatt vor den Mund nimmt - ich stehe zu meiner Meinung und sage die Dinge, wie sie sind. Die Hasskommentare kommen meist von Profilen ohne Bild und mit Fantasienamen. Im echten Leben würden die mir niemals ins Gesicht sagen, dass ich in meiner Karriere nichts geleistet hätte oder den Weltmeistertitel nur durch Zufall gewonnen hätte. Ich habe im echten Leben noch nie einen Hasskommentar erlebt. Darum tangieren mich solche Dinge nicht - ich stehe da drüber. Meistens kommen solche Kommentare von Leuten, die sich mit dem Skisport nicht wirklich auskennen und keinen Blick hinter die Kulissen haben.
Du hast erwähnt, dass du im echten Leben keine negativen Begegnungen hattest. Dafür aber positive?
Als die ganze Geschichte mit Roland Assinger aufkam, war es mir persönlich wichtig, das zu thematisieren. Ich habe daraufhin extrem viel Zuspruch erhalten. Niemand hat gesagt, wie "deppert" das von mir gewesen sei. Social Media ist letztlich Fluch und Segen zugleich. Man kann sagen, was man will - oft ist es aber auch ein bisschen eine Scheinwelt. Ich versuche jedoch, meinen Fans und Followern ehrliche Einblicke in meine Welt zu gewähren.
Hast du während deiner aktiven Zeit Zeitungs- oder Internetartikel über dich selbst gelesen? Und gab es eine Schlagzeile, die dich besonders geärgert oder gefreut hat?
Ich lese eigentlich immer die Artikel, die über mich verfasst werden. Ich kann aber relativ gut verdrängen und abhaken. Ich lese es kurz, denke mir, ob es stimmt oder nicht - und dann ist es für mich auch schon wieder erledigt.
Dein Ehemann Christian Walder hat ebenfalls kürzlich seinen Rücktritt vom Skisport bekannt gegeben. War dein Rücktritt für ihn ein Grund, auch aufzuhören?
Ich glaube, das hat für ihn grundsätzlich keine Rolle gespielt. Er hatte in seiner Karriere einfach brutal viele Verletzungen, und da bei uns Familienzuwachs bevorsteht, spielt dieser Gedanke natürlich auch mit. Uns ist es wichtig, dass wir in Zukunft mit unseren Kindern herumtollen und spielen können. Es mag hart klingen, aber für mich war es ein Vorteil, dass er in den letzten Jahren nicht mehr wirklich fahren konnte. So konnte er mich viel besser unterstützen, und ich hatte grosses Vertrauen in ihn. Wir haben vor den Rennen immer telefoniert, weil er ein sehr gutes Auge für Linienwahl und Technik hat. Christian war einer der wenigen, denen ich voll vertraut habe. Wir geniessen jetzt die Zeit, die wir haben, und es ist alles nach Plan aufgegangen. Er bleibt nach wie vor mit dem Skiverband verbunden und arbeitet beim Landesskiverband sowie bei der Polizei.
Kommen wir zum Schluss auf ein sehr erfreuliches Thema: deine Zukunft. Du bist zum ersten Mal schwanger, was natürlich extrem aufregend ist. Deine Schwangerschaft geniesst zunächst absolute Priorität. Hast du dir aber schon Gedanken gemacht, wie es beruflich weitergehen soll?
Ich kann mich glücklich schätzen, dass ich schon während meiner aktiven Zeit den Zoll an meiner Seite gehabt habe. Dort bin ich seit 2015 dabei und werde das auch weiterhin bleiben.
Darüber hinaus werde ich Kooperationen eingehen und nicht komplett aus der Öffentlichkeit verschwinden. Mir ist die Nachwuchsarbeit sehr wichtig - ich möchte meine Ideen, Emotionen und Erfahrungen einbringen, wie es mir damals ergangen ist. Auch bei Herzensprojekten wie der Wintermarke Eisbär kann ich mich einbringen. Ich werde also nicht völlig von der Bildfläche verschwinden, aber Priorität hat jetzt natürlich unser Baby.
Könntest du dir vorstellen, irgendwann in den Ski-Zirkus zurückzukehren?
Als Trainerin kann ich es mir ehrlich gesagt nicht vorstellen, aber in der Nachwuchsarbeit auf jeden Fall. Klar ist aber, dass ich meine Wildcard für ein Comeback sicher nicht zücken werde.