Der frisch als Schiedsrichter ausgebildete Jugendliche, der nach seiner ersten Saison in der Whats-App-Gruppe unserer Vereinsschiedsrichter mitteilt, dass er für die kommende Spielzeit nicht mehr zur Verfügung steht.
Der an sich begeisterte Nachwuchsschiedsrichter, der nach einem Rasenturnier im Sommer damit zu kämpfen hat, dass sein Gespannpartner und er die rot-blaue Karte geben "mussten". Warum sie das mussten? Weil sie auf einem Freizeitturnier beleidigt wurden und man ihnen Gewalt androhte.
Und, erst jüngst in der Instagram-Timeline: der emotionaler Post eines niedersächsischen Schiedsrichter-Teams, bestehend aus Vater und Tochter, die nach einem Spiel von "einer emotionalen und psychischen Belastung" schreiben. Die junge Schiedsrichterin "hat auf dem Spielfeld geweint - mitten im Spiel. Nicht, weil sie schwach war, sondern weil sie Mensch ist. Weil der Druck, die Anspannung und die Respektlosigkeit in diesem Moment einfach zu viel waren."
Es mögen drei subjektive und beliebig gewählte Beispiele sein, doch sie stehen für eine Entwicklung, die viele Menschen, die sich im Schiedsrichterwesen bewegen, bestätigen dürften:
Selbst, wenn wir im Handball noch lange nicht bei der Gewalt angekommen sind, die Unparteiische im Amateurfußball erleiden müssen, wird es auch in unseren Sporthallen (oder Rasenplätzen) zunehmend härter. Oder, wie es ein Schiedsrichterwart in den Ruhrnachrichten formulierte: Es werde "langsam hitziger".
Mehr Respekt und weniger Kontrollverlust
Bereits vor einem Jahr verfasste Bundesliga-Schiedsrichter Thorsten Kuschel am "Tag des Schiedsrichters" einen Appell für mehr Respekt und weniger Kontrollverlust, in dem er unter anderem schrieb: "Wenn ich drei Wünsche frei hätte, wäre das an erster Stelle ein Jugend- und Amateurhandball, in dem Jugendliche ohne Angst ihre ersten Schritte als Schiedsrichter machen können und nicht beschimpft werden (…), sondern wo man ihr Engagement honoriert."
Wie bitter ist es, dass eine solche Selbstverständlichkeit überhaupt formuliert werden muss?
Auch Jutta Ehrmann, Leiterin Schiedsrichterwesen im Deutschen Handballbund, weiß um die sich verschärfende Situation und sieht ein Problem vor allem in der Anonymität in den Sozialen Medien. "Wenn unsere Leute - egal, in welcher Liga - im Netz demontiert werden, müssen wir als Dachverband überlegen, wie wir Hilfestellung geben können", sagt sie im Interview. "Wir müssen uns gemeinsam um alle Schiedsrichter kümmern und das, was ihnen zugemutet wird."
Zahlen, welche die Gewalt gegen Schiedsrichter:innen im Handball quantifizierbar machen, gibt es nicht. Nimmt man jedoch die subjektiven Eindrücke zusammen, die man in den Hallen hört, dürften die Zahlen (wenn es sie gäbe) nicht sinken. "Wenn wir heute keinen Betreuer bei den ersten Spielen mitschicken, werden uns die Anfänger sofort weggemobbt", stellte jemand nüchtern fest, der sich in den Schiedsrichterkabinen des Amateurhandballs auskennt. Die Betreuer sind in der Regel oft selbst Schiedsrichter, die währenddessen kein eigenes Spiel leiten können und fehlen.
Der doppelte Mangel
Eine andere Zahl, die es hingegen gibt, sinkt trotzdem: Die Anzahl der Schiedsrichter:innen in Deutschland. Es gibt aktuell rund 10.000 Unparteiische weniger als noch vor 20 Jahren (hier geht es zum Beitrag). Zwar ist auch die Mannschaftsanzahl gesunken, sodass die Situation rein statistisch sogar besser ist, aber wir haben in Deutschland eben nicht nur einen (unbestrittenen) Schiedsrichter-Mangel, sondern auch einen Mangel an Verfügbarkeit.
Das soll ausdrücklich kein Vorwurf an all diejenigen Männer und Frauen sein, die sich grundsätzlich bereit erklären, überhaupt noch zu pfeifen. Wenn das eigene Spielen vorgeht, wenn Schiedsrichter:innen häufig noch andere Ehrenämter im Handball haben, wenn sie mit Vollzeitjob und Familie ausgelastet sind, bleibt nicht unbegrenzt Zeit zum Pfeifen. Und einige, auch das gehört zur Wahrheit, haben vielleicht auch einfach keine Lust, sich jedes Wochenende (teils mehrfach) in die Halle zu stellen.
An der Konsequenz ändert sich jedoch nichts: Es gibt zu wenig Schiedsrichter:innen für verfügbare Spiele - oder zu viele Spiele für die zur Verfügung stehenden Schiedsrichter:innen.
"Den Ansetzern steht das Wasser bis zum Hals", sagte im Zuge der Vorbereitung des heutigen Thementags eine Person, die sich seit Jahren im Schiedsrichterwesen bewegt und den Alltag im Amateurhandball kennt. "Die fehlenden Schiedsrichter liegen auch an der fehlenden Einsatzbereitschaft", hört man von anderer Stelle. "Ich muss mit anderthalb bis zweimal so vielen Schiedsrichtern im Kader planen wie ich Spiele habe, um halbwegs zurechtzukommen." Oder auch: "Der Schwund ist greifbar."
Keine Universallösung, aber Hoffnung
Eine Universallösung für diese drei jeweils eigenen Problemfelder, die jedoch eng miteinander verknüpft sind, gibt es nicht. Viele Vereine werben verzweifelt um Schiedsrichter und verpflichten ihre Spieler:innen zur Ausbildung; Verbände bemühen sich um Förderprogramme. Auch der Deutsche Handballbund bringt sich mit Aktionen wie "Breite trifft Spitze" oder den Maßnahmen im Rahmen der Kampagne "Hands up for more" an der Basis ein.
Was es jedoch (immer noch) gibt: 18.000 Schiedsrichter:innen in ganz Deutschland, die sich durch all die Probleme nicht abhalten lassen. Unzählige Ehrenamtler, die das Schiedsrichterwesen als Schiedsrichterwart, Ansetzer oder Coach am Leben halten. Und immer wieder den einen Spieler oder den anderen Trainer, der sich bei einem Schiedsrichter nach dem Spiel bedankt.
All das macht Hoffnung. Hoffnung machen auch die über 1.200 Likes und die vielen unterstützenden Kommentare, die es auf den eingangs erwähnten Instagram-Post gab. Und Hoffnung machen die Jugendlichen, die sich trotz des Wissens um all die Schwierigkeiten und der quasi sicheren Sündenbock-Rolle entscheiden, neu zur Pfeife greifen und damit ihren Beitrag leisten.
Wie wir alle ihnen helfen können, hat Thorsten Kuschel bereits formuliert. Seine anderen beiden Wünsche gingen übrigens in eine ähnliche Richtung: "Ich würde mir wünschen", schrieb der Bundesliga-Schiedsrichter, "dass jeder Fan darüber nachdenkt, wo seine Grenze liegt und ob es sich lohnt, diese zu überschreiten. Und ich würde mir wünschen, dass jeder Vater und jede Mutter, jeder Großvater und auch jeder Trainer in der Halle überlegt, ob er mit seinem Verhalten gerade das richtige Vorbild für sein Kind, seinen Enkel oder seine Spieler ist."
Wenn das gelingt, hört der Jugendliche künftig vielleicht nicht nach seiner ersten Saison. Muss der Nachwuchsschiedsrichter künftig vielleicht nicht mehr auf einem Freizeitturnier eine rot-blaue Karte zeigen. Muss die junge Schiedsrichterin auf dem Spielfeld nicht mehr weinen.
Und ein Text wie dieser wäre überflüssig. Wie schön wäre das.