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"Am Ende war ich 70 Stunden wach": Extremsportlerin Pohl im kicker-Interview

kicker

Nach erfolgreichen Jahren im Becken entschied sich Nathalie Pohl mit Anfang 20, ihre Karriere aufzugeben und sich neuen Herausforderungen zu widmen. Als erste Deutsche durchquerte sie die sieben herausforderndsten Meerengen der Welt - die Ocean’s Seven. Sie schwamm vor Neuseeland und Hawaii, an der US-Küste oder durch den Nordkanal zwischen Schottland und Nordirland. Anfang Oktober stellte sie dann einen neuen Weltrekord auf: Gemeinsam mit dem schottisch-australischen Extremschwimmer Andy Donaldson schwamm sie als Staffel um Ibiza.

Frau Pohl, Sie schrecken vor keiner Wassertemperatur zurück. Das Wasser im 34 Kilometer langen Nordkanal hatte gerade mal 13 Grad, als Sie ihn im September 2024 durchschwammen. Wie schaffen Sie es, unter solchen Bedingungen durchzuhalten?

Das ist am Anfang eine sehr große Überwindung. Am Ende zählt die Frage: Wie sehr möchte ich dieses Ziel erreichen? Der Nordkanal war die letzte Herausforderung der Ocean’s Seven. Ich habe mir während der letzten beiden Stunden permanent gedacht: "Ich möchte hierhin nie wieder zurück!" (lacht) Ich hatte es in meiner Karriere ganz oft, dass ich Dinge beim ersten Mal nicht geschafft habe und zurückkommen musste. Das macht etwas mit einem - es verändert einen als Mensch. Dieser Gedanke hat mich durchgebracht.

Die 24 Grad Wassertemperatur vor Ibiza waren dann Badewannen-Feeling, oder?

Ja, auf jeden Fall. Zu warmes Wasser ist allerdings auch nicht gut. Man dehydriert schnell, und auch die Sonneneinstrahlung ist nicht förderlich. Alles, was über 28 Grad hat, ist zu warm, um noch Leistung zu erbringen.

Ihr Traum war es, Ibiza zu umrunden. Den haben Sie sich Anfang Oktober mit dem schottisch-australischen Extremschwimmer Andy Donaldson erfüllt - einmal um die Insel, gut 104 Kilometer in unter 31 Stunden. Woher kam dieser Wunsch?

Ich hatte diese Idee schon ein paar Jahre lang, hatte aber schlichtweg keine Zeit, weil ich erst die Ocean’s Seven vollenden wollte. 2023 habe ich dann Andy kennengelernt, und wir haben überlegt, was als Nächstes kommen könnte. Ibiza hat mich gereizt, weil das noch nie jemand gemacht hat. Wir wussten nicht, wie die Strömung sein würde, wie lange es dauern würde. Die 30 Stunden waren eine Annahme, weil wir unsere Zeiten hochgerechnet haben. Am Ende war es mit sehr viel Vorbereitung und vielen Unbekannten verbunden. Das hat dieses Projekt auch so spannend gemacht, weil eben nicht sicher war, ob wir das schaffen.

Die Tage davor gab es auf Ibiza schwere Unwetter. Wie bleibt man da fokussiert, wenn man nicht weiß, ob das Projekt überhaupt stattfinden kann?

Ich bin das gewohnt. Man kommt nie irgendwo hin und kann einfach losschwimmen. Der Sport ist abhängig von der Natur. Auf Ibiza war es extrem - wir mussten vorher aus dem Hotel evakuiert werden, weil die Lobby unter Wasser stand. Natürlich hatte ich da Sorge, ob das Projekt überhaupt stattfinden würde. Das Schlimmste ist immer der Druck, den man sich macht, weil man ja weiß, wie viel Zeit, Arbeit und Training in diesem Projekt stecken, wie viele Menschen im Hintergrund daran beteiligt sind. Ich habe versucht, das auszublenden. Ich konnte es in dem Moment eh nicht ändern.

Am 3. Oktober um 7.30 Uhr ging es endlich los.

Ich war froh, als es endlich losging. Die Nacht vorher hatte ich leider keine Minute geschlafen. Ich war also schon rund 30 Stunden wach, bevor ich überhaupt ins Wasser gesprungen bin. Am Ende war ich knapp 70 Stunden wach - das war extrem, da muss man mental sehr stark sein.

Sie haben sich alle zwei Stunden mit Andy Donaldson abgewechselt. Wie war das für Sie?

Auf der einen Seite war es gut, auf der anderen Seite hat es meinen Rhythmus ständig unterbrochen, was es im Laufe der Zeit sehr anstrengend gemacht hat, auch mental. Die Pausen waren dann doch relativ kurz. Ich habe mich kurz ausgeruht, etwas gegessen, dann musste ich mich schon wieder fertig machen. Wenn wir das noch einmal machen würden, dann in einem anderen Format - mit längeren Intervallen von drei oder vier Stunden.

„Ich habe mich wirklich gefragt, wie lange ich das noch durchhalte.“ (Nathalie Pohl)

Nehmen Sie uns mit: Wie verlief der Weltrekord?

Am Anfang war das Wasser schön flach, nach 18 Stunden haben wir starken Wellengang bekommen. Da ich immer auf dem Boot war, wurde mir langsam übel. Am Ende war ich dann richtig seekrank. Die letzten vier, fünf Stunden ging es mir wirklich schlecht. Ich habe meinen Trainer zum ersten Mal gefragt, wie lange es noch dauert - das mache ich normalerweise nie. Ich konnte keine Nahrung mehr bei mir behalten, selbst Wasser trinken war am Ende extrem hart. Ich habe mich wirklich gefragt, wie lange ich das noch durchhalte. Als wir zurück an Land waren und ich wieder Boden unter den Füßen hatte, war ich heilfroh.

Wie ist das, seekrank wieder schwimmen zu müssen?

Die Seekrankheit war auf dem Boot viel stärker als im Wasser … Nach einer halben Stunde wurde es dann zum Glück besser, dann war ich wieder in meinem Flow - und musste aber schon wieder raus aufs Boot.

Hatten Sie überhaupt noch ein Zeitgefühl?

Nein. Man weiß zwar schon, ob es Tag oder Nacht ist, aber nicht, wie lange man schon geschwommen ist. Der einzige Anhaltspunkt war, dass ich alle halbe Stunde ein Getränk bekommen habe. Das konnte ich mir dann etwas hochrechnen. Aber nach dem 18. Getränk weiß man auch nicht mehr, wie viel man schon getrunken hat. (lacht)

Was macht das Salzwasser nach so vielen Stunden mit dem Körper?

Das war auf Ibiza tatsächlich ein riesiges Problem. Das Wasser war extrem salzig, ich würde sogar sagen, das salzigste, in dem ich je geschwommen bin. Andy und ich konnten in den drei Tagen danach nicht wirklich etwas essen. Der Körper dehydriert sehr schnell. Gerade am Anfang habe ich versucht, so viel wie möglich zu trinken, zwei Liter in einer halben Stunde. Mit der Seekrankheit ging dann nicht mal mehr das …

„Ich wollte Andy nicht im Stich lassen. Wir wollten uns diesen Traum erfüllen.“ (Nathalie Pohl)

Sie haben sich durchgekämpft - nach insgesamt 30:57:49 Stunden war Ibiza umrundet.

Ich wollte das unbedingt. Ich wollte auch Andy nicht im Stich lassen. Wenn man dieses Ziel hat, findet man sehr viel Energie, um es erreichen zu können. Das war es auch, was mich am Ende die letzte Stunde noch hat schwimmen lassen. Wir sind die zusammen geschwommen - wir wollten uns diesen Traum einfach erfüllen.

Wie lange hat es gedauert, bis Sie den Erfolg letztlich wirklich realisieren konnten?

Es hat tatsächlich eine Weile gedauert, bis sich das Ganze gesetzt hat. Ich schaue mir im Nachgang immer Bilder und Videos an, in diesem Fall auch den Livestream. Damals im Becken, wenn ich eine Bestzeit geschwommen bin, war das Erfolgserlebnis zwar stark, aber auch sehr kurz, weil ich sofort versucht habe, noch schneller und besser zu werden. Jetzt hält dieses Glücksgefühl viel länger an, man freut sich viel länger darüber.

Sie beide sind auch für den guten Zweck geschwommen und haben über 150.000 Euro gesammelt. Wo wird das Geld hinfließen?

Wir wollen Kindern ermöglichen, schwimmen zu lernen. Diese Förderung ist dringend nötig, weil in Deutschland immer weniger richtig schwimmen können, viele auch gar nicht mehr die Möglichkeit bekommen, an einem Schwimmkurs teilzunehmen, entweder aus Kostengründen oder weil es für die tatsächliche Nachfrage zu wenige Plätze gibt. Wenn ich dann sehe, wie viel Spaß die Kinder beim Schwimmen haben, macht mich das glücklich.

Was wollen Sie den Kindern auf ihren Weg mitgeben?

Das Wichtigste ist, dass man an sich glaubt. Es wird immer Momente geben, in denen das keiner tut - außer den engsten Freunden und der Familie. Mir wurde oft von außen gesagt: „Das ist zu verrückt, das wird nicht funktionieren …!" Aber am Ende muss man stark sein, weitermachen, darf nicht aufgeben. Wie gesagt: Vieles gelingt eben nicht beim ersten Mal.

„Wenn der Rekord nicht kommt, macht es die Leistung nicht weniger stark.“ (Nathalie Pohl)

Die Ibiza-Challenge gilt am Ende als Weltrekord. Das ist nicht Ihr erster. Wie wichtig ist Ihnen das?

Mir geht es um die Herausforderung. Wenn der Rekord am Ende steht, ist das schön; das zeigt, dass sich das Training gelohnt hat. Aber ich mache das für mich, um mir zu beweisen, was ich alles schaffen kann. Wenn der Rekord nicht kommt, was ich auch schon oft hatte, dann macht das die Leistung nicht weniger stark.

Ihren Traum haben Sie sich erfüllt. Wie geht’s weiter?

Ich habe für nächstes Jahr neue Ideen und neue Ziele vor mir. Das Format, was Inseln angeht, finde ich sehr interessant. Es wird damit weitergehen.

Interview: Isabella Fischer