Fehlercode: %{errorCode}

Bjarne Deiters und Jesper Stumpfe: Erfolg ist kein Glück

kicker

Hinweis: Der Beitrag erschien erstmals im August 2025 in der Ausgabe 20/2025 des Magazins Bock auf Handball

Es gibt zwei Varianten, die Geschichte von Bjarne Deiters und Jesper Stumpfe zu erzählen. In ihrer eigenen Version stapeln die beiden Grundschulfreunde immer wieder tief. "Wir waren zur richtigen Zeit am richtigen Ort", sagt Bjarne. "Wir hatten viel Glück", sagt Jesper. "Wir sind in eine Lücke gestoßen, als es einen Umbruch gab." Die besten Beachhandball-Schiedsrichter in Deutschland zu sein, sei "sehr den Rahmenbedingungen geschuldet". Jede Koketterie mit ihren Erfolgen ist den beiden Niedersachsen fremd.

Ihr Aufstieg lässt sich jedoch auch anders erzählen: Sie sind das Schiedsrichter-Team, das mit 17 Jahren das erste Mal ein Finale bei der Deutschen Meisterschaft pfiff und die Lizenz des europäischen Handball-Verbands erhielt. Das mit 18 Jahren für seine erste Europameisterschaft auf den eigenen Abiball verzichtete. Das mit 22 Jahren das Finale einer Jugend-Europameisterschaft leitete. Das mit 24 Jahren das jüngste und zugleich erfahrenste Gespann in einem EM-Kader war. Das mit 25 Jahren in einem WM-Halbfinale auf dem Feld stand. Und das mit 26 Jahren für die World Games nominiert wurde - als erstes deutsches Schiedsrichter-Team seit 2005.

Sie sind das Schiedsrichter-Team, das im Alter von 26 Jahren in der Weltspitze daheim ist. Das haben Bjarne und Jesper sich erarbeitet. Und sie sind trotz aller Lorbeeren mit beiden Füßen fest im Sand geblieben.

Manchmal scheinen die beiden Schiedsrichter ihre steile Karriere selbst nicht fassen zu können. Als Jesper sich nach einem Spieltag bei den Europameisterschaften 2025 in ihrem Doppelzimmer ausruhte, spielten die Animateure unten am Hotelpool das Fliegerlied. "Das haben wir 2010 bei der Kinderdisco in Cuxhaven gehört, als wir mit unserem Verein als Spieler beim Beachhandballturnier waren", erzählt Jesper später mit einem Schmunzeln. "Ich dachte mir nur: Mensch, guck mal, wir haben es doch ganz schön weit gebracht."

Aus dem beschaulichen Cuxhaven bis in die Millionenstadt Chengdu zu den World Games: Es war in der Tat ein langer, ein mitunter harter, aber ein ebenso lehrreicher, erfolgreicher und immer wieder schöner Weg für die beiden Grundschulfreunde.

Auf Tour durch Europa

Seit 2013 pfeifen Bjarne und Jesper bereits zusammen; zunächst in der Halle, bis zwei Jahre später ihr steiler Aufstieg im Beachhandball begann. Der damalige Männer-Bundestrainer Kai Bierbaum entdeckte das Duo auf einem Turnier. "Ich habe ein Spiel beobachtet, das aufgrund der äußeren Bedingungen komplett aus dem Ruder lief. Aber der Schiri, der alleine gepfiffen hat, hat sein Ding durchgezogen und alle Entscheidungen zu 100 Prozent richtig getroffen", erinnerte sich der deutsche Beachhandball-Pionier später. "Ich dachte mir: 'Der hat aber ein dickes Fell.’"

Ob es sich dabei um Bjarne oder Jesper handelte, konnte Bierbaum später nicht mehr genau sagen. Als er sich jedoch den Gespannpartner ebenfalls anschaute, überzeugte ihn auch dieser: "Der war genauso cool und hat sich durch nichts aus der Fassung bringen lassen." Bierbaum organisierte sich sofort die Telefonnummern der damals 16-Jährigen - und gab damit der Karriere des heutigen deutschen Top-Gespanns den entscheidenden Schubs.

Nach ihren ersten Einsätzen auf den German Beach Open (GBO) wurde das Team Deiters/Stumpfe 2016 für einen EHF-Lehrgang in Griechenland gemeldet („wir hatten Glück, dass ein anderes Gespann die Frist versäumt hat“) - und überzeugte die Verantwortlichen trotz des jungen Alters auf Anhieb. Neben der EHF-Lizenz gab es das Endspiel der Männer beim Finalturnier der European Beachhandball-Tour (EBT) obendrauf.

Und das war erst der Anfang; es folgten fünf Europameisterschaften der Männer und Frauen sowie sechs EM-Turniere im Jugend- und Juniorenbereich. Sommer für Sommer geht es für Jesper und Bjarne auf Tour - nach Kroatien und Montenegro, Polen und Bulgarien, Portugal und in die Türkei. Weitere internationale Erfahrungen sammelte das Duo quer durch Europa auf verschiedensten EBT-Turnieren.

Obwohl sie parallel zum Sand auch in der Halle aufstiegen und seit 2022 dem Perspektivkader des Deutschen Handballbundes angehören, liegt der Fokus klar auf dem Sand. "Wir haben zehn Jahre in den Beachhandball investiert und wollen das Toplevel, auf das wir lange hingearbeitet haben, genießen", beschreibt Jesper. "Es ging für uns im Beachhandball sehr schnell sehr steil nach oben", sagt auch Bjarne. "Wir sind früh ins kalte Wasser geschmissen worden bzw. haben uns selbst reingeschmissen. In der Halle hätten wir deutlich länger gebraucht, um annähernd so ein Niveau zu erreichen."

In zwei Welten unterwegs

So waren Bjarne und Jesper auf einmal in zwei Welten unterwegs: Als sie im Sand bereits Europameisterschaften gepfiffen hatten, standen sie in der Halle noch in der Landesliga der C-Jugend auf dem Feld. Die Entscheidung, die Sandvariante zu priorisieren, fiel entsprechend nicht schwer. Zumal das Pfeifen im Beachhandball ihnen einfach ein Tick mehr liegt. Sie können dort ihre Stärken in der Kommunikation und dem Gamemanagement voll ausspielen, das lockere Flair der Sandvariante passt zu ihrem Auftreten und der gewissen Lässigkeit, die sowohl Bjarne als auch Jesper mitbringen.

"Der Spirit beim Beachhandball kommt uns entgegen", weiß auch Bjarne. Die strengeren Erwartungen gerade in der Progression, die in der Halle herrschen, stellen hingegen eine Herausforderung dar. "Wir kommen nicht auf die Linie, welche die Kolleg:innen pfeifen", sagt Jesper selbstkritisch. Umgekehrt stellt das Beachflair mitunter auch erfahrene Hallenreferees vor Probleme.

Bei den Beachhandballerinnen und Beachhandballern kommen Spielleitung und Persönlichkeit von Bjarne und Jesper hingegen an. In Deutschland genießt das Duo einen großen Respekt und auch international haben sie sich das Standing in den vergangenen Jahren erarbeitet - und dabei das ein oder andere Highlight erlebt. Unvergessen ist bis heute das Shoot Out im Finale der männlichen U18-Europameisterschaft in Varna.

Am Strand des Schwarzen Meeres lieferten sich die Auswahlmannschaften aus Schweden und Spanien ein packendes Duell; die Entscheidung fiel erst im 22. (!) Wurf im Shoot Out - normalerweise sind es wie bei einem Siebenmeterwerfen nur zehn Würfe. "Es ist ein geiles Gefühl, so ein Finale zu pfeifen und man will eigentlich auch gar nicht vom Feld, aber irgendwann habe ich schon gedacht: Es könnte jetzt auch mal vorbei sein", erklärte Bjarne anschließend mit einem Augenzwinkern.

Das packende Endspiel war für Bjarne und Jesper ein Meilenstein - auch, weil es der Abschluss einer schweren Zeit war. Denn so steil ihre Karriere begann, so tief war auch der zwischenzeitliche Fall. Zur Europameisterschaft 2019 in Polen war das Duo mit großen Erwartungen gereist. "Wir waren noch sehr jung und naiv und bis dahin lief alles so glatt, dass wir unsere Hoffnungen viel zu hoch gehängt haben", beschreibt Bjarne.

Die beiden Freunde konnten ihre Leistung nicht annähernd abrufen und hielten dem selbst gemachten Druck nicht stand. "Wir waren einfach noch nicht so weit", sagt Jesper offen. "Ich wollte das Optimum abrufen und habe mich selbst mental hochgepusht, aber die Leistungskurve ist abgefallen und ich habe mich auf dem Feld nur unwohl gefühlt. Das war unser Tiefpunkt."

Der Zugriff auf das Spiel und die Lockerheit auch in stressigen Phasen, die sie inzwischen auszeichnet, fehlten damals komplett. Das Turnier war ein Einschnitt; anschließend setzte sich das Duo zusammen und beschäftigte sich intensiv mit der eigenen Leistung und möglichen Verbesserungsschritten. Neben externer Unterstützung schlossen sie einen kleinen internen Vertrag („wollen wir das wirklich erzählen?“), um Verbindlichkeit zu schaffen.

Ein Traum geht in Erfüllung

Mit Erfolg: Seit der Europameisterschaft 2021 ging es steil bergauf und mit der Weltmeisterschaft 2024 ging eins ihrer größten Ziele in Erfüllung. "Eine IHF-Nominierung wäre schon ein Traum für die Zukunft", hatten sie schon sieben Jahre zuvor, nach ihrer ersten Europameisterschaft, gesagt. Zwar mussten Bjarne und Jesper länger warten als erhofft, aber mit 14 Spielen - darunter ein Halbfinale - war das Turnier sportlich ein voller Erfolg. Jesper: "Insofern war es vielleicht sogar positiv, dass wir lange auf diesen Einsatz hingearbeitet haben, da wir so von unseren Erfahrungen der vergangenen Jahre profitieren konnten."

Endlich das IHF-Logo tragen zu dürfen, war für die beiden sonst so unprätentiösen Freunde "ein Symbol der harten Arbeit, die wir in den letzten Jahren reingesteckt haben", wie Jesper es formuliert. Denn hinter der Lockerheit steckt eine ebenso große Portion Ehrgeiz. "Wenn wir uns ein Ziel setzen, das realistisch erreichbar ist, arbeiten wir sehr intensiv dafür und dann müssen auch sehr viele andere Bereiche zurückstecken", sagt Bjarne.

Ihre Urlaubstage - Bjarne ist Polizist, Jesper Ingenieur für Umwelttechnik - investieren beide zum Großteil in den Beachhandball, im Sommer sind sie zahlreiche Wochenende unterwegs. "Die Priorität des Beachhandballs ist schon sehr weit oben", betont Bjarne. "Wir haben klare Ziele vor Augen - auch, wenn wir nach außen nicht darüber sprechen", sagt Jesper und grinst.

Worüber sie hingegen mit einer erstaunlichen Offenheit sprechen, sind die eigenen Schwächen, die eigentlich überhaupt nicht zur Schiedsrichterei passen: Die Introvertiertheit von Bjarne („Ich rede eigentlich ungern mit Menschen und habe ungern Menschen um mich. Im Spiel geht das nur, weil ich da ein klares Konzept habe.“) sowie der Hang von Jesper zum "People pleasen", wie er es nennt. "Als Schiedsrichter ist das Ziel eine faire Spielleitung und nicht, jeden glücklich zu machen", beschreibt der 26-Jährige sein Dilemma. "Oder, wie ein italienischer Delegierter immer sagt: Wir sind keine Eiscremeverkäufer." Mit unbequemen Entscheidungen kämpft Jesper stets deutlich mehr als sein Gespannpartner („ich gucke eine Videoszene mehr, Bjarne lässt das kalt.“).

Über die Jahre haben sie jedoch eine Arbeitsteilung gefunden, sodass der jeweils andere die Schwäche seines Partners auffängt. Jesper übernimmt die Kommunikation abseits des Spielfeldes, Bjarne reißt seinen Freund wiederum aus der Gedankenspirale („er sagt nach schwierigen Entscheidungen: Hast du richtig gesehen, abhaken, weitermachen.“). Sie sind ein eingespieltes Team - und kommen trotz der Unterschiede in der Regel miteinander bestens aus. "Bei Großturnieren verbringen wir zwei Wochen nahezu rund um die Uhr miteinander", sagt Bjarne. "Da braucht es jemanden, den du kennst und magst - und trotzdem kommt zum Ende ein bisschen Lagerkoller auf."

Als es drei Wochen nach den Europameisterschaften in Alanya erneut zum Flughafen ging, um für zwei Wochen nach China zu fliegen, war das jedoch Nebensache. "Die World Games sind das größte Turnier, was man als Beachhandball-Schiedsrichter aktuell erreichen kann", unterstrich Jesper im Vorfeld die Bedeutung. "Es ist noch einmal ein ganz anderes Level."

Nachdem es vergangenes Jahr zur WM nach Pingtan ging, folgte mit Chengdu die zweite Reise nach China in rund zwölf Monaten. In welches Land darf es denn zur Abwechslung noch einmal gehen? "Norwegen oder Schweden wären nett, da wäre es mal ein bisschen kühler", scherzt Bjarne am Rande der Europameisterschaft in Alanya, wo bis zu 39 Grad herrschten. "Brasilien würde ich mitnehmen", sagt Jesper und ergänzt mit einem Schmunzeln: "Senegal wäre auch nicht schlecht."

Dort finden 2026 die Olympischen Jugend-Spiele statt.

Es wäre das nächste Kapitel in ihrer gemeinsamen Geschichte, die unbestritten eine Erfolgsgeschichte ist - egal, in welcher Variante man sie erzählt.

Bock auf Handball - Ausgabe 20

Dieser Artikel erschien in Ausgabe 20 unseres Print-Magazins Bock auf Handball. Alle früheren Ausgaben sowie die neue Ausgabe (ab dem 25. November 2025) können HIER versandkostenfrei bestellt werden.Bock auf Handball ist hautnah an den Stars des Handballs - und an der Basis. Das Heft könnt ihr HIER innerhalb von Deutschland versandkostenfrei bestellen. Wer Geld sparen will, holt sich das ABO. Für nur 24,95 Euro bekommt ihr alle vier Hefte des Jahres.