Um die Antwort auf zwei Fragen vorweg zu nehmen, die Denis Seidler zu seinem Beruf immer wieder gestellt werden: Nein, der 28-Jährige schmiedet weder Schwerter noch Hufeisen. Auch auf Mittelaltermärkten sind sein Chef und er nicht anzutreffen. Und um im gleichen Atemzug auch noch mit zwei typischen Handwerker-Klischees aufzuräumen: In ihrer Schmiedewerkstatt wird weder geraucht noch steht Bier im Kühlschrank.
"Das Handwerk hat vor Jahren einen bestimmten Ruf abbekommen, der leider immer noch zu sehr in der Gesellschaft verankert ist", sagt Seidler. Auch er selbst, daraus macht er kein Geheimnis, hatte das Klischee unbewusst im Hinterkopf, als er nach dem Schulabschluss vor der Frage stand, wie es weitergehen sollte. "Es war bei uns gang und gäbe, nach dem Abitur ein Studium zu machen, alle meine Freunde wollten studieren, da habe ich es eben auch gemacht", erinnert er sich.
Seidler stellte jedoch schnell fest: Die Universität war nichts für ihn. "Ich war in dieser Phase mit mir selbst nicht zufrieden, ich war unglücklich, ich habe mit allem gehadert", beschreibt er. Er wechselte den Studiengang, doch auch das änderte nichts. So wagte er einen für ihn großen Schritt: Er brach das Studium endgültig ab und wandte sich an die Handwerkskammer Düsseldorf.
Über das Projekt "Passgenaue Besetzung" vermittelt man dort erst einmal Praktikumsplätze. Seidler schnupperte in verschiedene Berufe hinein, das letzte Praktikum war in der Schmiede seines heutigen Chefs. "Der Betrieb und das Arbeitsklima waren genau so, wie ich mit gutes Arbeiten vorstelle; es hat perfekt gepasst", sagt Seidler. "Wenn er Schreiner gewesen wäre, wäre ich heute wahrscheinlich Schreiner. Letztendlich bin ich jetzt durch Zufall in dieser totalen Nische gelandet, aber ich bin total glücklich."
Am letzten Tag seines Praktikums unterzeichnete Seidler den Ausbildungsvertrag als Kunstschmied. "Wir machen keine eigenen Kunstobjekte. Kunst im handwerklichen Sinne kommt für uns vom Können, das wollen wir mit jeder Arbeit zeigen", beschreibt der 28-Jährige. "Bei der Kunst im künstlerischen Sinne geht es um die Interpretation."
Hin und wieder kommt es dennoch zur Zusammenarbeit mit Künstlern, "wenn die etwas verrückten brauchen", wie Seidler es mit einem Schmunzeln formuliert. Ihre Schmiede ist der einzige Betrieb dieser Art in Düsseldorf, der ein noch aktives Schmiedefeuer hat. "Wir können warmbiegen, umformen, schmelzen, löten", sagt er. "Kurz gesagt: Wir können Sachen machen, bei denen ein normaler Metallbauer an seine Grenzen kommt, weil es eine ältere Technik ist - aber eine Technik, die immer noch gut funktioniert."
In den ersten zwei Schuljahren saß Seidler unter anderem gemeinsam mit Schlossern im Klassenraum, im 3. und 4. Schuljahr war seine Fachrichtung Metallgestaltung der Schwerpunkt. Im Januar 2024 schloss er seine Ausbildung erfolgreich ab und wurde übernommen. Jeder zweiter Auftrag von Seidler und seinem Chef, der selbst erst 34 Jahre alt ist, sind Restaurationen, ansonsten kommen die verschiedensten Aufträge rund um alle möglichen Metalle. "Wir geben zum Beispiel einem normalen Stabgeländer einen kunstvollen Dreh", sagt er.
Glück am warmen Feuer
Ob Kupfer oder Messing, ob Aluminium oder Baustahl: Seidler kann die verschiedensten Metallsorten verarbeiten. "Wir vergolden auch, wenn das vom Kunden gewünscht ist, das ist in der Restauration relativ gängig", erklärt er. Schmuckherstellung steht im Arbeitsalltag ansonsten ebenso wenig auf der Tagesordnung wie die eingangs erwähnten Schwerter und Hufeisen.
"Wir wollen nichts mit Waffen am Hut haben und haben das spezielle Know-How auch nicht. Auch Hufschmied wäre ein Zusatzkurs in der Ausbildung gewesen", sagt Seidler und ergänzt mit einem Grinsen: "Und wir hätten zwar das Werkzeug, um beispielsweise Silberringe herzustellen, aber nicht das Fingerspitzengefühl. Wir sind zu grob für diese Feinarbeit." Nur einen Ring, das hat er sich vorgenommen, will er irgendwann selbst schmieden, "für meine zukünftige Frau".
An Aufträgen mangelt es ihrem Betrieb ohnehin nicht. Schweißen, schmieden und schneiden mit der Flex: 80 Prozent der Arbeitszeit produziert das dreiköpfige Team - neben Seidler und seinem Chef gibt es noch einen Auszubildenden - in der Werkstatt, 20 Prozent der Arbeitszeit entfallen auf die Montage. "Ich bin nicht umsonst Hallensportler; ich bin lieber draußen als drinnen und wir haben in der Werkstatt nicht nur eine Heizung, sondern auch ein warmes Feuer", lacht Seidler.
Er fühlt sich rundum wohl, die Entscheidung gegen das Studium und für sein Handwerk hat er nie bereut. "Seit Beginn der Ausbildung bin ich kontinuierlich glücklich; ich gehe gerne zur Arbeit und es macht Spaß", schwärmt er. Im Spätsommer reiste die Belegschaft der Schmiede zur Biennale Europea d’Arte Fabbrile - quasi einer Art Schmiede-WM - nach Italien.
Sie traten in der Teamchallenge an, wo innerhalb von drei Stunden ein Beitrag zum Thema "Mythen und Magie" gestaltet werden musste. Mit zwei Ambossen, zwei Feuern und ohne elektrischen Werkzeuge schmiedeten Seidler und Co. einen Phönix. "Wir wollen eine Platzierung erreichen, aber das hat nicht gereicht", fasst Seidler zusammen. "Da müssen wir noch drauflegen."
Von den Eindrücken vor Ort war der 28-Jährige trotzdem völlig geflasht. "Ein Belgier hatte eine Bohrmaschine zum Kurbeln, wie im 18.Jahrhundert, das war fantastisch", beschreibt er. "Und wir konnten den Tschechen über die Schulter schauen; was die in drei Stunden machen, ist echt krass. Da kann man sich immer etwas abgucken. Jetzt arbeiten wir darauf hin, irgendwann ein Platzierung zu erreichen."
Sich selbst (immer weiter) zu verbessern: Dieser innere Drang hat Seidler nicht nur als Schiedsrichter auf dem Handballfeld bis in die Bundesliga gebracht; er treibt ihn auch beruflich an. Sein erster Versuch in der Schmiede ging schief, "die Schlange, die ich aus einem Stück Rundstahl schmieden sollte, war schrecklich, sie sah aus wie ein Wurm", verrät er lachend. "Auf dem Weg vom Praktikum nach Hause habe ich gesagt: Das macht irgendwie keinen Spaß, ich bin total schlecht darin."
Er ließ sich jedoch nicht entmutigen, erlernte nach und nach die Schmiedetechniken und wurde besser. "Als ich noch einmal ausprobiert habe, eine Schlange zu schmieden, sah es auch wie eine Schlange aus", schmunzelt er. "Ich habe gemerkt, wie ich besser werde und in der Schule kam dann die Theorie dahinter dazu." Über sich selbst sagt er: "Ich bin von Haus aus recht ehrgeizig."
"Ein ordentliches Fundament anmischen"
Diesen Ehrgeiz teilt er mit seinem Bruder, das Pfeifen hat für Seidler/Seidler oberste Priorität. Er nimmt nahezu alle Urlaubstagen für die Schiedsrichterei, seine Überstunden setzt er ein, um Wochentagsspiele wahrnehmen zu können. "Das ist ein großer Vorteil in unserem Betrieb", weiß er. Selbst zur Schmiede-Weltmeisterschaft reiste Seidler erst später nach, um eine Ansetzung wahrnehmen zu können.
In ihrer aktuell ersten Saison im Bundesligakader wollen Seidler/Seidler "Baustellen schließen und ein ordentliches Fundament anmischen, damit wir in den nächsten Jahren darauf aufbauen können." Die Erfahrung am Anfang der Saison erdeten die Brüder noch einmal. "Wir hatten gute Spiele, aber auch total fordernde Einsätze", beschreibt der 28-Jährige. "Wir wissen, dass wir noch mehr leisten müssen und wollen jetzt aus unseren Fehlern lernen, damit wir unsere beste Leistung bringen können."
Dafür muss neben Freundin und Familie auch der Beruf zurückstecken. "Ich könnte im Handwerk noch viel mehr ehrenamtlich machen und zum Beispiel helfen, Gesellenprüfungen abzunehmen", beschreibt Seidler. "Da hätte ich großes Interesse, aber das kann ich auch noch später machen."
Nach einer Gemeinsamkeit zwischen seinem Beruf und seiner großen Leidenschaft muss er nicht lange suchen. Beide Bereiche haben das gleiche große Problem: die Nachwuchsgewinnung. "Wir haben einen Schiedsrichter-Mangel und im Handwerk gibt es nicht genug Lehrlinge", beschreibt Seidler. "Dass es auf beiden Spielfeldern tolle Perspektiven gibt, sehen oder wissen viele Menschen leider nicht."
Dass der Zentralverband des Deutschen Handwerks seit 2020 Partner des Deutschen Handballbundes und offizieller Nachwuchsförderer des Deutschen Handballbundes ist, freut Seidler. "Ich kann jedem, der Bock hat, seine Hände zu benutzen, nur raten, Praktikas zu machen", unterstreicht er. "Wenn man den richtigen Betrieb für sich gefunden hat, hat man das beste Leben, das man sich vorstellen kann."