Im American Football und im Fußball ist es bereits Usus, nun zieht der Handball nach: Bei der Weltmeisterschaft der Frauen und der Europameisterschaft der Männer werden die Schiedsrichter:innen nach Videobeweis ihre Entscheidung per Durchsage in der Halle erklären. Es ist ein weiterer Schritt in der technischen Entwicklung rund um die Unparteiischen.
"Für den Fan ist das natürlich eine tolle Sache, allerdings ist es ein zusätzlicher Druck, den man den Schiedsrichter auferlegt", sagt Jutta Ehrmann dazu. Die Leiterin Schiedsrichterwesen im Deutschen Handball wird bei der Frauen-WM gemeinsam mit Kay Holm und Lars Geipel als Delegierte im Einsatz sein und die Technikpremiere entsprechend hautnah miterleben.
"Wir versuchen grundsätzlich, den Schiedsrichtern durch die technische Unterstützung möglichst viel Druck zu nehmen; nun müssen sie einen ganz anderen Druck aushalten", führt Ehrmann aus. „Der Puls steigt ohnehin, wenn man zum Videobeweis geht und seine Entscheidung überprüft und nach Ansicht der Bilder eventuell revidiert - und jetzt müssen sie das vor tausenden Zuschauern in der Halle noch begründen. Es ist wichtig, dass wir dafür Standards haben und die Schiedsrichter mental auf dieses Thema gut vorbereiten.
Ob die Durchsagen nach einem Videobeweis auch in der Handball-Bundesliga eingeführt werden, hält Ehrmann bewusst offen. "Wir werden uns die beiden Großturniere anschauen und dann aus der Erfahrung heraus und in enger Abstimmung mit dem Ligaverband entscheiden", hält die Schiedsrichter-Chefin fest. Der Videobeweis an sich kommt in der 1. Männer-Bundesliga seit 2023 zum Einsatz.
Immer mehr Technologie
Ob Videobeweis, Buzzer oder Headsets, ob Torlicht-Technologie oder Wechselraum-Kamera: In den vergangenen Jahren hat sich eine technische Unterstützung der Schiedsrichter auf verschiedensten Ebenen im Handball etabliert. Oft werden die Technologien nach Erprobung bei den internationalen Großturnieren eingesetzt, weil an den Spielorten einheitliche Bedingungen herrschen. Die nationalen Ligen folgen nach und nach.
Letzte Neuerung in der 1. Handball-Bundesliga der Männer nach Buzzer und Videobeweis war die Einführung der Torlinientechnologie zu Saisonbeginn. "Zur Volltechnik gegenüber den internationalen Großevents fehlen uns aktuell die Kameras in der Wechselzone und die Goal-Light-Technology", fasst Ehrmann zusammen.
Die "Substitution Area Technology" sind Mikro-Kameras am Kampfgerichtstisch und an den Ecken, welche die Kontrolle von Wechselfehlern und Fehlern bei der Nutzung des Buzzers zu checken. "Das haben wir auf der To-Do-Liste, aber das ist mit hohen Investitionen verbunden, weil nicht alle Hallen in der Bundesliga standardisiert sind", so Ehrmann.
Die einheitlichen Hallenstandards sind in den deutschen Ligen der Knackpunkt bei der Einführung von technischen Hilfsmitteln - und eine Erklärung, warum die Anwendung in den höchsten Ligan so unterschiedlich ist. Während die 1. Bundesliga der Männer (Buzzer, Videobeweis, Torlinientechnik) alle drei Techniken hat, kommt in der 2. Bundesliga der Männer und 1. Bundesliga der Frauen nur der Buzzer zum Einsatz. Die 2. Bundesliga der Frauen hat nicht einmal den Buzzer. Die EHF Champions League wiederum hat Buzzer und Videobeweis, aber keine Torlinientechnik.
Die Goal-Light-Technology - das blinkende Lichtsignal an den Toren, wenn die Spielzeit gestoppt wird - kommt beim Final Four um den DHB-Pokal zum Einsatz, aber noch nicht im Ligabetrieb. "Das ist eine große Hilfe, denn sobald die Uhr steht, geht das Licht automatisch, das hilft immens bei der Frage, ob der Ball im Tor war oder nicht", sagt Ehrmann. "Wir wünschen uns das, aber auch da braucht es Standards und das muss wachsen."
"Alles, was hilft, nehmen wir an"
Einheitlich in allen Wettbewerben des Deutschen Handballbundes zum Einsatz kommt nur eine Technik: Das 2009 ebenfalls zunächst nur in der 1. Bundesliga eingeführte Headset. Über Funk können sich die Schiedsrichter-Teams seitdem im Spiel direkt miteinander austauschen. Nach und nach wurde die Nutzung seitdem ausgeweitet; inzwischen sind alle Unparteiischen des Deutschen Handballbundes von der 1. Bundesliga bis zur Jugendbundesliga mit Headset ausgestattet.
"Das Beispiel des Headsets zeigt, dass auch eine zunächst innovative Technik irgendwann Normalität ist", sagt Ehrmann. "Bei jeder Technik, die wir jetzt nach und nach neu etablieren, wird das vermutlich auch irgendwann der Fall sein." Aus Sicht der Schiedsrichter-Chefin gibt es zwei Kriterien für eine Einführung: Es müssen einheitliche Standards gegeben sein - und die Technik sollte möglichst einfach sein.
"Es ist nicht geholfen, wenn es durch die Technik noch komplexer wird", erklärt sie. "Technik darf immer nur eine Hilfestellung sein und nicht zu einem zusätzlichen Problem werden." Ein No-Go, an dem sie daher aktuell festhält: Der Funkverkehr der Headsets bleibt intern. "Ich würde die Schiedsrichter in ihrer Kommunikation einschränken, das wäre keine Hilfe", so Ehrmann. "Alles, was uns hilft, werden wir dagegen annehmen."