Bei seinem ersten Einsatz als Delegierter musste Simon Reich kurz schmunzeln. Vor dem Spiel zwischen HBW Balingen-Weilstetten und dem HC Elbflorenz leitete der 40-Jährige das erste Mal die technische Besprechung mit den Mannschaftsverantwortlichen, den Schiedsrichtern und dem Kampfgericht bei einem 1. Ligaspiel der Männer. "Plötzlich", erinnert er sich amüsiert, "war ich derjenige, der das administrative Zeug erzählt, während die Schiedsrichter mir zuhören so wie wir jahrelang dem Delegierten zugehört haben."
Das war jedoch nicht die einzige neue Perspektive, an die sich Reich seit Saisonbeginn gewöhnen muss. Sein langjähriger Gespannpartner Hanspeter Brodbeck und er sind nun getrennt unterwegs. "Es war extrem ungewohnt, dass ich die Einsätze nicht mehr mit Hanspeter koordinieren muss", lacht Reich. "Und es war komisch, auf einmal allein im Auto zum Spielort zu fahren und auch keine große Sporttasche mehr dabei zu haben, sondern nur mit einem Rucksack loszuziehen."
Auch der Ablauf am Spieltag ist als Delegierter anders: Während die Unparteiischen nach der technischen Besprechung mit ihrer Spielvorbereitung beschäftigt sind, hat Reich als Delegierter mehr Freiheiten. "Ich erlebe das Treiben in der Halle vor dem Spiel, das hat man als Schiedsrichter kaum wahrgenommen, weil man in seinem Tunnel war", beschreibt er. "Ich kann die Atmosphäre ein bisschen genießen und mit Menschen aus den Vereinen leicht ins Gespräch kommen, wofür sonst nie die Zeit blieb."
An seine neue Position am Tisch muss sich Reich allerdings erst noch gewöhnen. "In den ersten Spielen habe ich mehr gestanden als gesessen", beschreibt er. "Auf dem Spielfeld erläufst du dir als Schiedsrichter die beste Position, daher stand ich ganz automatisch für einen besseren Überblick."
Andere Sichtweise - andere Aufgabe
Sein ehemaliger Schiedsrichterkollege Jörg Loppaschewski, der ebenfalls im Sommer seine Karriere beendete, erlebte die ersten Einsätze als Delegierter ähnlich intensiv. "Es war von draußen fast anstrengender als das Spiel selbst zu pfeifen", schmunzelt der 53-Jährige. "Das ist schon eine große Umstellung, denn man hat nicht nur eine andere Sichtweise, sondern auch komplett andere Aufgaben."
Als Delegierte sind Loppaschewski, Reich und ihre Kolleg:innen als Spielaufsicht dafür zuständig, dass das Spiel ordnungsgemäß abläuft und beispielsweise keine Regelverstöße unterlaufen. Das bedeutet jedoch nicht, dass sie Einfluss auf jede Schiedsrichter-Entscheidung haben.
"Als Delegierter bist der Kummerkasten für beide Mannschaften, aber viele scheinen immer noch fälschlicherweise zu glauben, dass man eingreifen könne", schildert Loppaschewski. "Als Schiedsrichter haben wir diese Unruhe an den Bänken nur peripher wahrgenommen, aber dass so oft der Dialog gesucht wird, bekommst du nicht mit und das ist auch gut so."
Für Reich ist die Kommunikation mit den Mannschaften ein Bereich der neuen Rolle, den er zu schätzen weiß. "Das macht mir richtig viel Spaß", betont er. "Du kommunizierst mit Offiziellen und auch Spielern, aber stehst nicht so im Fokus wie als Schiedsrichter. Und die Arbeit mit den Bänken ist interessant - und wenn es heiß wird, hast du auch auch gut zu tun."
Alle Delegierten, die in der 1. Männer-Bundesliga zum Einsatz kommen, haben wie Reich und Loppaschewski selbst in der deutschen Beletage gepfiffen. "Bei einem Pfiff weißt du in der Regel schon, was jetzt kommt und kannst vieles vorhersehen und das schnell weitergeben am Tisch", sagt Loppaschewski.
Das Engagement als Selbstverständlichkeit
Eine neue Aufgabe der Delegierten seit dieser Saison ist zudem das parallele Coaching (genannt Delegiertencoaching, siehe "In drei Schritten: Das Schiedsrichter-Coaching“). „Ich freue mich, mit jungen Teams zu arbeiten und ihnen Tipps und Erfahrungswerte weiterzugeben", betont Reich. "Ob bzw. was davon sie es annehmen, muss jedes Team dann selbst entscheiden."
Dass er direkt seine ehemaligen Kolleg:innen beurteilen muss, macht Reicht nichts aus. "Ich kann das trennen; ich habe jetzt wie nach einem Jobwechsel eine neue Rolle", erklärt er. "Diese neue Rolle muss ich annehmen und die Schiedsrichter erwarten völlig zurecht, dass ich meinen Part auch ausfülle." Entsprechend will er auch vor Kritik nicht zurückscheuen: "Ein Coaching darf kein Einheitsbrei sein; wir müssen ebenso loben wie tadeln", umschreibt er seine Vorstellung. "Ich möchte das loben, was gut war und habe aber auch keine Schmerzen, Dinge anzusprechen, die schlecht waren."
Loppaschewski ist neben seiner Arbeit als Delegierter und Coach zudem im Lehrwesen aktiv und stellt das neue Bindeglied zwischen dem Bundesligabereich und der 3. Liga da. "Wir wollen eine Einheitlichkeit in der Regelauslegung von oben nach unten transportieren", sagt er. In wöchentlichen Videocalls tauscht er sich aktuell mit dem Schiedsrichter-Ausschuss der 3. Liga aus. Seine Position ist erst zu dieser Saison geschaffen worden, entsprechend spielen sich die Abläufe gerade erst ein.
Ebenso wie für viele ihrer ehemaligen Kollegen war es auch für Loppaschewski und Reich keine Frage, dass sie sich nach dem aktiven Karriereende weiter engagieren. "Die Nachwuchsförderung lag mir immer am Herzen", sagt Loppaschewski, der früher bereits Schiedsrichterlehrwart im HV Berlin war. "Es war mich klar, dass ich meine Erfahrung weitergeben will."
Für Reich ist es nicht nur eine intrinsische Motivation, sondern nahezu eine Verpflichtung. "Wir müssen jetzt unseren Beitrag leisten, das gehört sich so", sagt der 40-Jährige. "Wir haben jahrelang profitiert und viel Input von unseren 'Vorgängern' bekommen, jetzt wollen wir das zurückzahlen und weitergeben. Das ist aus meiner Sicht eine Selbstverständlichkeit."