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"Fehler sind keine Schwächen"

kicker

In der vergangenen Woche jährte sich der Todestag des ehemaligen Nationaltorwarts Robert Enke zum 16. Mal. Sein damaliger Suizid infolge einer schweren Depression löste viele Debatten über mentale Gesundheit im Sport aus. Jüngst sprach auch der ehemalige Chelsea-Fußballer und heutige DAZN-Experte Sebastian Kneißl im kicker-Interview offen über seine Burn-out-Erkrankung während der aktiven Fußballkarriere. Was hat sich also in diesem Bereich seit Enkes Tod getan? Der renommierte Sportpsychologe Dr. René Paasch spricht über aktuelle Entwicklungen und Behandlungsmöglichkeiten:

Herr Dr. Paasch, immer wieder ist die mentale Belastung im Sport ein großes Thema. Nimmt das Problem zu?

Ich würde nicht sagen, dass mentale Belastungen zunehmen, aber sie werden sichtbarer. Spieler sprechen heute offener über ihre Gefühle, über Druck und Zweifel, als das früher der Fall war. Das ist ein wichtiger Fortschritt. Ich liebe diesen Sport, seine Intensität, seine Emotionen und die Energie, die auf dem Platz entstehen kann. Gerade deshalb liegt mir so viel daran, dass wir die mentale Seite genauso ernst nehmen wie Technik, Taktik oder Physis. Denn mentale Stabilität ist kein Zusatz, sondern Teil der Gesamtleistung.

Welche Herausforderungen gibt es speziell im Fußball?

Im Profifußball ist die Erwartungshaltung enorm hoch, und über Schwächen zu sprechen, fällt vielen schwer. Es geht um Stabilität, Einsatzbereitschaft und Selbstvertrauen, Attribute, die im System gefordert werden. Dennoch hat sich viel bewegt: In zahlreichen Nachwuchsleistungszentren sind Sportpsychologinnen und Sportpsychologen inzwischen fester Bestandteil des Betreuungsstabs. Das ist eine sehr gute Entwicklung. Im Profibereich passiert das bislang punktuell, oft projektbezogen. Wichtig wäre, sportpsychologische Expertise so selbstverständlich zu integrieren wie medizinische oder physiotherapeutische Betreuung. Damit würde man zeigen, dass mentale Stärke genauso trainierbar ist wie Muskelkraft.

Sind die mentalen Belastungen im Fußball besonders groß?

Der öffentliche Druck ist im Profifußball außergewöhnlich. Millionen schauen zu, jede Handlung wird bewertet. Gleichzeitig entsteht viel Druck auch von innen: Spieler setzen sich selbst stark unter Erwartung. In der Psychologie nennen wir das leistungsbezogene Selbstregulation. Sie beschreibt, wie Athletinnen und Athleten mit Erfolgsdruck, Kritik und Rückschlägen umgehen. Wer diese Fähigkeiten gezielt trainiert, etwa durch mentale Routinen, Selbstreflexion und Fokussierung, bleibt langfristig stabiler und leistungsfähiger.

„Sich Unterstützung zu holen, ist kein Zeichen von Schwäche.“ ()

Wann ist denn bei mentalen Belastungen der richtige Moment, sich zu outen bzw. in Therapie zu gehen?

Sich Unterstützung zu holen, ist kein Zeichen von Schwäche, sondern von Selbstfürsorge. Idealerweise sucht man das Gespräch, bevor Belastungen überhandnehmen. Sportpsychologinnen und Sportpsychologen können helfen, Warnsignale zu erkennen und konstruktiv damit umzugehen. Wenn jedoch der Eindruck entsteht, dass eine psychische Erkrankung vorliegt, etwa eine Depression oder Angststörung, dann ist die Zusammenarbeit mit einer Therapeutin oder einem Therapeuten zwingend notwendig. Wir begleiten und fördern, aber wir behandeln nicht. Entscheidend ist das Zusammenspiel von sportpsychologischer, medizinischer und therapeutischer Expertise.

Und wie kann ein professioneller Umgang mit mentalen Belastungen im Profifußball aussehen, ohne dass daraus ein Karriererisiko entsteht?

Das Schlüsselwort lautet Vertrauen. Eine klare Trennung von Rollen kann helfen: Ein Sportpsychologe arbeitet mit der Mannschaft, ein anderer mit dem Trainerteam. So bleibt Vertraulichkeit gewahrt und niemand muss Sorge haben, dass Persönliches in falsche Kanäle gerät. Ziel ist eine Kultur, in der mentale Gesundheit als Teil von Leistungsfähigkeit verstanden wird, nicht als Gegensatz dazu. Wenn das gelingt, wird Offenheit zur Stärke, nicht zur Schwäche.

„Der Schlüssel liegt darin, die Balance zwischen Anspruch und Selbstvertrauen zu finden.“ ()

Wie würde das im Idealfall in der Praxis aussehen?

Sportpsychologische Arbeit sollte nicht erst dann beginnen, wenn etwas nicht läuft, sondern als fester Bestandteil des Trainingsalltags verankert, sein. Wenn der Trainerstab die Einheiten plant, können psychologische Elemente integriert werden, etwa Konzentrationsübungen, kurze Achtsamkeitseinheiten, Selbstvertrauensübungen oder Teamentwicklungstraining. Solche "weichen" Faktoren sind in Wahrheit harte Leistungsparameter. Sie fördern Selbststeuerung, Kommunikation und Stabilität. Das Ziel ist nicht, Probleme zu behandeln, sondern Potenziale zu entfalten, im Training, in der Regeneration und in der persönlichen Entwicklung.

Wie kann man den Druck auf den einzelnen Akteur im Sport verringern?

Druck lässt sich nicht komplett vermeiden, aber der Umgang damit lässt sich lernen. Wichtig ist, dass Spieler verstehen: Fehler sind keine Schwächen, sondern Erfahrungen. Wer Akzeptanz und Selbstmitgefühl entwickelt, verliert die Angst vor Fehlern und bleibt in Stresssituationen handlungsfähig. Diese Haltung kann trainiert werden, sie ist Kernbestandteil mentaler Stärke. Der Schlüssel liegt darin, die Balance zwischen Anspruch und Selbstvertrauen zu finden.

„Wenn eine psychische Erkrankung vorliegt, muss therapeutische Hilfe hinzukommen.“ ()

Sebastian Kneißl hat damals die Kündigung "gerettet" - für Robert Enke kam jede Hilfe zu spät. Was hilft, wenn man mental völlig am Boden ist und nicht mehr weiter weiß? Wie kommt man raus aus dem Loch?

Es gibt immer Wege heraus, auch wenn sie Zeit brauchen. Wichtig ist, wieder Einfluss auf das eigene Erleben zu gewinnen. Kleine, realistische Schritte helfen, das Gefühl von Kontrolle zurückzuerlangen. Sportpsychologische Unterstützung kann dabei helfen, Perspektiven zu öffnen und Ressourcen zu aktivieren. Wenn aber eine psychische Erkrankung vorliegt, muss therapeutische Hilfe hinzukommen. Dann ist interdisziplinäre Zusammenarbeit gefragt und das funktioniert, wenn Vertrauen zwischen allen Beteiligten besteht.

Ihr Tipp an junge Menschen, die wie Kneißl damals vor einer hoffnungsvollen Karriere stehen und sich nur über den Beruf definieren?

Der Beruf ist ein wichtiger Teil des Lebens, aber eben nur ein Teil. Wer sich ausschließlich über Leistung und Status definiert, verliert schnell die innere Balance. Ich ermutige junge Spieler, sich frühzeitig auch jenseits des Platzes zu entdecken: Interessen, Werte, Freundschaften, Familie. Das stärkt die Persönlichkeit und sorgt dafür, dass man Rückschläge besser verarbeitet. Denn mentale Stärke entsteht nicht durch Verdrängung, sondern durch innere Reife. Fußball ist mehr als ein Spiel, er ist ein Spiegel des Lebens. Wer mental stark bleibt, bleibt nicht nur leistungsfähig, sondern auch menschlich im Gleichgewicht.