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Im Interview: Die Schiedsrichter-Chefin Jutta Ehrmann

kicker

Frau Ehrmann, die ersten drei Monate der Saison 2025/26 sind gespielt. Wie fällt Ihre Zwischenbilanz aus?

Wir sind gut und ohne größere Irritationen in die Spiele der ersten und zweiten Ligen in die Saison gestartet. Wir standen vor der Herausforderung, alle Spiele in der 2. Bundesliga der Männer mit Delegierten zu besetzen und das ist trotz der kurzen Vorbereitungszeit sehr gut angelaufen. Wir sind mit unserem Team trotz des erhöhten Personalaufwands, den das bedeutet, in der Lage, die Spiele adäquat abzudecken.

Wir hatten zusätzlich aufgrund der Implementierung der Buzzertechnik alle ersten Heimspiele in der 1. Bundesliga der Frauen mit Delegierten besetzt. Die dortige Einführung der Technik ist seitens Vereine und der Schiedsrichterabteilung geräuschlos erfolgt.

Eine weitere Neuerung war die Torlinientechnik in der 1. Männer-Bundesliga …

Da gab es anfangs noch ein paar Kinderkrankheiten, die wir aber in gewohnt enger Abstimmung mit der HBL und den Vereinen Stück für Stück aufgearbeitet haben. Inzwischen funktioniert die Torlinientechnik Spieltag für Spieltag nahezu in allen Arenen lückenlos.

Wie haben sich die Aufsteiger in Ihren Kadern eingefunden?

Bona/Frank und Cesnik/Konrad - die Aufsteiger in den Elitekader - haben schon Erfahrungen in allen Ligen, aber jetzt einen anderen Status. Sie müssen sich jetzt eben nicht mehr in der Komfortzone Anschlusskader, sondern im Elitekader beweisen. Das ist bisher gut gelungen und ich bin sehr positiv gestimmt, dass sie es langfristig schaffen, sich zu etablieren können.

Im Anschlusskader haben wir mit Bärmann/Bärmann und Gimmler/Rips zwei sehr hoffnungsvolle, junge Schiedsrichter-Teams. Ich habe ihre ersten Einsätze in der 1. Bundesliga der Männer begleitet und die Debüts sind gut gelungen. Ich bin davon überzeugt, dass wir in die richtigen Leute investieren.

In den vergangenen Jahren haben zahlreiche erfahrene Schiedsrichter-Teams aufgehört, junge Teams sind nachgerutscht, das Durchschnittsalter ist gesunken. Wie wird diese Entwicklung bei den Vereinen wahrgenommen?

Das stimmt, In den letzten Jahren sind wir im Schnitt jünger geworden, was einfach daran liegt, dass die Leute früher in die Kader hineinkommen, aber früher auch wieder aufhören. Sie pfeifen oft nicht mehr wie früher noch mit 50 Jahren, sondern 'nur noch' bis Anfang/Mitte 40. Wir bilden weiterhin gut aus, aber es ist natürlich einfacher, mit zehn Jahren mehr Lebenserfahrung auf dem Spielfeld zu bestehen als mit Mitte/Ende Zwanzig.

Wir müssen weiter arbeiten, wir müssen unsere Leute besser und stärker machen, aber in Summe gibt es durch das Alter keine Irritationen. Ich glaube, dass das Vertrauen der Ligen und der Vereine da ist, dass wir mit der notwendigen Umsicht die Kader zusammenstellen. Eine zusätzliche Herausforderung aktuell ist es allerdings, dass mit Kuttler/Merz zwei unserer Top-Leute - durch einen sehr schönen Grund - aktuell nicht am Start sind.

Im Sommer gab es abseits der von Ihnen genannten Neuerungen in den 1. und 2. Ligen auch erneut Regelanpassungen, zum wiederholten Mal. Inwiefern ist das Regelwerk aus Ihrer Sicht noch nachzuvollziehen - oder wird es durch die Änderungen, die inzwischen fast jährlich kommuniziert werden, langsam zu schwierig, das Regelwerk in allen Feinheiten zu verstehen?

Wir haben eine sehr komplexe Sportart, aber wenn ich allein sehe, dass wir nur für die Buzzer-Regelung vier DinA4-Seiten brauchen, um die ganzen Sonderregeln abzudecken, dann glaube ich schon, dass wir langfristig nicht noch komplexer werden sollten.

Wir müssten das Regelwerk mit all den Bestimmungen und Erläuterungen, die dazugehören, stattdessen eher etwas verschlanken, damit die Transparenz für die Zuschauer gegeben ist und das Spiel für alle Spieler, Trainer und auch Schiedsrichter transparent bleibt.

Es muss natürlich alles geregelt sein, aber die vielen Feinheiten sind tatsächlich schwierig zu vermitteln - wie beispielsweise die tabellarische Aufstellung, was während des Vorwarnzeichens als Pass zählt und was nicht …

In dem Fall gibt es zum Glück die Tatsachenentscheidung, sodass es bis in die Kreisklasse hinein nicht sofort als Regelverstoß gewertet wird, wenn dort ein Fehler unterläuft. Ich bin auch alles andere als ein Fan vom so genannten Korridor beim Anwurf. Das Spieler und Schiedsrichter außerhalb des Kreises fiktive Zonen erkennen müssen, durch die jemand taktisch durchläuft oder nicht: Das finde ich schwierig umzusetzen, für alle Seiten. Ich hoffe, dass wir da eventuell in Zukunft noch andere Lösungen finden.

Was würden Sie sich aus Sicht des Schiedsrichterwesens wünschen?

Wir haben mit der HBL bereits eine sehr gute Kooperation und auch mit der HBF eine ordentliche Zusammenarbeit. Die HBL ist sehr innovativ unterwegs und offen für Neuerungen, sie zeigt sich sehr engagiert, wenn es darum geht, die Schiedsrichter mitzunehmen und zu unterstützen. Wir haben daher bereits eine gute gemeinsame Agenda, die wir in Abhängigkeit von Ressourcen abarbeiten.

Ressourcen sind auf der einen Seite natürlich eine finanzielle, aber auch eine personelle Frage. Das Schiedsrichterwesen fußt auch im Profibereich immer noch viel auf dem Ehrenamt …

Wir sind sehr professionell aufgestellt und haben im Ehrenamt professionell arbeitende Mitarbeiter. Alle Bereiche wie Lehre, Organisation, Coaching oder Nachwuchs werden im Ehrenamt von Menschen getragen, die sich mit viel Herzblut einbringen. Alle Vereine und Verbände - von oben bis unten - müssen einfach nur froh sein, dass wir auf allen Ebenen solch engagierte Leute haben, die ihre Freizeit und ihr Engagement in das Thema Schiedsrichterwesen stecken.

Videobeweis, Buzzer, drei Team-Time-Outs: Driftet man inzwischen zu sehr auseinander zwischen dem Bundesligabereich und den Ligen darunter?

Ich glaube, wir kriegen das im Handball noch gut hin - auch, weil die 3. Liga und der Amateurbereich in vielen Punkten nachziehen. Die Verletztenregel wird beispielsweise zunehmend in der Breite umgesetzt. Und während es vor einigen Jahren noch undenkbar war, tragen inzwischen alle Schiedsrichter inkl. der Jugendbundesliga und der 3. Liga Headsets. Auch in den Landesverbänden wird es immer mehr. Die Technik wird besser, es wird wirtschaftlicher, es wird irgendwann Usus sein. Wir dürfen uns den Entwicklungen nicht verschließen, wir müssen sie nur mit dem notwendigen Augenmaß implementieren.

Können Sie nachvollziehen, dass es dennoch abgehoben wirken mag, wenn die Basis mitunter darum kämpft, alle Spiele überhaupt mit einem Schiedsrichter zu besetzen - und der Weltverband erneut die Drei-Schiedsrichter-Lösung testet?

Die drei Schiedsrichter sind natürlich ganz anders aufgeteilt; da gibt es nicht zwei Schiedsrichter, die wie ein Ehepaar immer zusammen unterwegs sind, sondern es wird bunt gemischt. Vielleicht gibt es dadurch sogar neue Lösungen für den Amateurbereich; dass einer vom Heimverein, einer vom Gastverein und ein neutraler Schiedsrichter zusammenpfeifen.

Wir wissen um den Druck, dass wir zu wenig Schiedsrichter haben, aber vielleicht bietet so ein Modell die Chance, neue Ideen zu entwickeln. Daher sollte man nicht gleich draufhauen und es als totalen Nonsens abstempeln, denn vielleicht stecken Möglichkeiten da drin.

Von der WM habe ich gehört, dass die Ergebnisse ganz gut waren, wir werden die Entwicklungen abwarten. Wenn es kommt, werden ganze Generationen zu dritt ausgebildet; so, wie man früher von einem auf zwei Schiedsrichtern gegangen ist. Sollte es dazu kommen - und ich sage nicht, dass es so kommen wird -, werden wir das analysieren und die Vorteile sehen und neue Chancen herausarbeiten.

Wie bewerten Sie generell die Zusammenarbeit mit der Basis?

Ich glaube, dass wir aus der Spitze heraus ein gutes Miteinander haben. Unsere Spitzenschiedsrichter sind immer bereit, an der Basis und im eigenen Landesverband oder bei Vereinen zu unterstützen, wenn sie angefragt werden. Wir machen als Dachverband sehr für die Basis. Wir haben unser Programm "Breite trifft Spitze" und wir haben dieses Jahr eine große Offensive für weibliche Schiedsrichter gestartet.

Im Rahmen der WM-Kampagne „Hands Up for more“…

Genau. Das kam nicht überall gut an und es wurde gefragt: Warum nur die Frauen? Von denen hat sich vorher auch keiner beschwert, wenn es 20 Jahre in erster Linie um die Männer ging (lacht). Die Initiative ist generell gut, weil wir auf die Schiedsrichterei aufmerksam machen und gerade bei den Frauen noch viel Potenzial steckt. 2027 haben wir mit der Männer-WM das nächste Großereignis im eigenen Land und auch das werden wir gezielt für Aktionen nutzen.

Welche Eindrücke kommen vom Alltag an der Basis bei Ihnen an? Im Fußball gab es in den letzten Jahren beispielsweise immer wieder Berichte, dass Gewalt gegen Schiedsrichter gestiegen ist …

Ich muss ehrlich sein: Bei mir direkt kommt wenig an. Die Landesverbände sind mit ihren Leuten im Schiedsrichterbereich gut aufgestellt und ich habe nicht das Gefühl, dass es in diesem Punkt eklatant schlechter geworden ist. Wir haben das im Handball gut im Griff, weil wir natürlich unsere Werte haben, die wir im Handball pflegen und darauf achten, dass unsere Sportart nicht kaputt geht.

Dennoch gibt es an der Basis immer wieder Schiedsrichter:innen, die aufhören, weil sie den - vorsichtig ausgedrückt - Umgang nicht ertragen …

Das gab es vor 20 oder 30 Jahren auch schon, aber wir müssen natürlich trotzdem genau hingucken, wo die Probleme entstehen und wie wir helfen können. Ein großes Thema sind dabei sicherlich die Sozialen Medien. Früher war es nicht möglich, jemanden im Nachgang auf solchen Plattformen und das wohlmöglich noch unter verdeckten Namen anzugehen. Wenn unsere Leute - egal, in welcher Liga - im Netz demontiert werden, müssen wir als Dachverband überlegen, wie wir Hilfestellung geben können. Wir müssen uns gemeinsam um alle Schiedsrichter kümmern.

Und um bei der alten Weisheit zu bleiben: Ohne Schiedsrichter wäre der Spielbetrieb nicht möglich …

Das ist der unumstößliche Grundsatz. Und ich möchte ganz klar betonen: Ohne die Basis geht es nicht! Wir brauchen eine breite Basis, um den Grundstein für unsere Sportart abzudecken - das gilt für Spieler, für Trainer und auch für Schiedsrichter. Aus diesem Pool wachsen die Talente heraus, die Deutschland später in der Spitze vertreten werden. 40 von 20.000 Schiedsrichtern in Deutschland schaffen es nach ganz oben, aber wir brauchen jeden einzelnen dieser 20.000 Schiedsrichter! Ich bin sehr dankbar, dass sich so viele Männer, Frauen und Jugendliche an jedem Wochenende in die Hallen stellen und den Handball am Leben erhalten!

Was wäre Ihr abschließender Appell aus Sicht des Schiedsrichterwesens an den Handball?

Erhaltet den Handball mit seinen Grundwerten! Es müssen alle Beteiligen von oben bis unten gemeinsam daran arbeiten und größtes Interesse haben, dass es gelingt. Andere Sportarten beneiden uns darum, wie wir grundsätzlich miteinander umgehen und finden gut, wie es bei uns läuft - und das müssen wir erhalten.