In zwei Wochen startet die Frauen-Weltmeisterschaft in Deutschland und den Niederlanden. Wie groß ist eure Vorfreude auf eure erste internationale Nominierung für ein Großturnier im Erwachsenenbereich?
Ramesh Thiyagarajah:Die Vorfreude ist natürlich auf jeden Fall da, denn diese Nominierung war der logische nächste Schritt für uns, auf den wir lange gehofft und für den wir lange gearbeitet haben. Die Bedeutung dieser Nominierung kann ich gar nicht so richtig in Worte fassen. Wir sind schon sehr gespannt, wie es laufen wird. Wir haben schon einige Turniere im Nachwuchsbereich miterleben dürfen, aber alleine an der Vorbereitung durch die IHF merkt man bereits, dass die Frauen-Weltmeisterschaft eine andere Hausnummer ist.
Wie habt ihr von der Nominierung erfahren?
Suresh Thiyagarajah:Wir haben eine E-Mail bekommen, dass wir nominiert sind und ich habe sofort Ramesh angerufen. Wir haben uns sehr gefreut. Es war ein cooler Moment, weil wir lange daraufhin gearbeitet haben. Es ist echt toll, dass es dieses Jahr klappt, nachdem wir vor zwei Jahren schon als Reservegespann auf der Liste standen.
Ramesh Thiyagarajah:Genau genommen hast du eine E-Mail bekommen (lacht). Bei mir kam die Mail mit der Nominierung nie an.
Suresh Thiyagarajah:Stimmt, ich war daher der Erste, der es erfahren hat. Als wir telefoniert haben, habe ich scherzhaft gesagt: Dann fahre ich halt alleine zur WM.
Ramesh Thiyagarajah:Und ich meinte nur: Ich wusste gar nicht, dass du dich als Delegierter aufgestellt hast (beide lachen).
In welchen Punkten wird euch die Erfahrung von den Nachwuchsturnieren bei der Frauen-WM helfen?
Suresh Thiyagarajah:So ein Großturnier bedeuten für die Schiedsrichter 24 Stunden Handball. Jeder Tag beginnt mit einer Analyse und dann geht es in die Halle - entweder für ein Spiel oder als Reserve auch mehrere Spiele. Zwischendurch versuchen wir, eine Trainingseinheit zu integrieren; abends gibt es dann erneut eine Besprechung und erneut eine Analyse. Wenn man so ein Turnier das erste Mal macht, ist es intensiv, aber da wir es im Nachwuchsbereich über die letzten Jahre erlebt haben, haben wir eine Routine. Das wird uns helfen; auch, wenn die Weltmeisterschaft vom Spielniveau und der Professionalität noch einmal ein neues Level ist.
Und auch von der Aufmerksamkeit, die auf euren Entscheidungen liegt - sowohl in den Hallen als auch medial. Inwiefern ist dieses Wissen ein zusätzlicher Druck?
Ramesh Thiyagarajah:Dass unsere Entscheidungen genau beobachtet werden, sind wir gewöhnt; es ist inzwischen normal für uns und wir sind uns dessen bewusst. Da es unsere erste "große" Weltmeisterschaft ist, wird eine gewisse Portion Aufregung dabei sein, es ist eben eine ganz andere Veranstaltung. Darauf werden wir uns einstellen.
Suresh Thiyagarajah:Ich würde auch nicht nur von Druck sprechen wollen - es ist eine Freude, dass wir die Chance bekommen, uns dort zu beweisen; zu gucken, wie weit wir kommen und wo wir stehen. Es wird für uns spannend zu sehen, wie gut wir mittlerweile auf dieser Ebene angekommen sind.
Mit welchem Ziel reist ihr in die Niederlande?
Suresh Thiyagarajah:Wir wollen natürlich möglichst bis zum Schluss dabei bleiben. Das ist sicherlich das Ziel, aber das hängt von so vielen Faktoren ab. Wie finden wir ins Turnier? Welche Spiele bekommen wir? Und wie weit kommt die deutsche Nationalmannschaft?
Die deutsche Nationalmannschaft ist ein gutes Stichwort: Das DHB-Team spielt in Deutschland, daher werden ihr in den Niederlanden zum Einsatz kommen. Wird es trotzdem eine Heim-WM für euch sein?
Ramesh Thiyagarajah:Von der Entfernung her ist es ein kurzer Weg, deswegen werden wir anders als beispielsweise die Kollegen aus Südamerika keinen Anreisestress haben. Das ist natürlich entspannt für uns und hat ein bisschen etwas vom Heimspiel. Ansonsten werden wir von einer echten Heim-WM wohl nichts mitkriegen, weil wir eben nicht in Deutschland unterwegs sein werden.
Suresh Thiyagarajah:Das ist natürlich echt schade, dass wir die deutschen Spiele nicht sehen und auch die Stimmung in den deutschen Hallen nicht erleben können. Das wäre für uns natürlich etwas besonderes gewesen. In den Niederlanden wird es mit der niederländischen Nationalmannschaft aber auch coole und laute Spiele geben, da freuen wir uns drauf.
Die Turniertage bei so einem Turnier können trotz aller Pflichten lang werden. Eure Kollegen Schulze/Tönnies spielen beispielsweise Playstation. Was ist die Beschäftigung eurer Wahl für die Freizeit, die neben dem Handball bleibt?
Suresh Thiyagarajah:Wir verbringen viel Zeit mit Kaffee trinken (schmunzelt). Wir gehen gerne mit den anderen Schiedsrichter-Teams einfach raus, setzen uns auf einen Kaffee hin und quatschen.
Ramesh Thiyagarajah:Es sind relativ viele Kollegen dabei, die den gleichen Weg wie wir gegangen sind bei der IHF; daher kennen wir einige Schiedsrichter-Teams bereits. Bei einer WM kommen aber auch immer erfahren Hasen dazu; es wird sicherlich interessant, die kennenzulernen.
Suresh Thiyagarajah:Das stimmt, es ist immer sehr interessant, den Kollegen aus den anderen Nationen zu begegnen, andere Kulturen und Denkweisen kennenzulernen. Das ist super bereichernd. Ansonsten gucken wir auch einfach viele Spiele, weil wir gerade am Anfang ein Gefühl bekommen wollen, wie die Mannschaften drauf sind und wie das Turnier läuft.
Die Nominierung für diese Weltmeisterschaft ist, ihr habt es selbst gesagt, der nächste logische Schritt in eurer Schiedsrichter-Karriere gewesen. Inwiefern merkt ihr in den letzten Jahren, dass sich diese Entwicklung, die ihr gemacht habt, auf dem Spielfeld "auszahlt"? Inwiefern begegnet man euch beispielsweise in der Bundesliga inzwischen anders?
Suresh Thiyagarajah:Es geht vieles sicherlich einfacher von der Hand, weil eine Grundakzeptanz und vielleicht auch ein Grundvertrauen da ist, dass wir auf einer guten Linie pfeifen. Das kommt daher, dass wir inzwischen lange dabei sind und viele Topspiele geleitet haben. Die Kehrseite: Wir müssen Woche für Woche beweisen, dass wir das Niveau konstant abrufen können. Die Akzeptanz ist weg, wenn keine Konstanz drin ist. Wir wollen der Anforderung, dieses Niveau zu halten, gerecht werden.
Anders formuliert: Es ist schwieriger für euch geworden, alle Seiten - egal, ob Mannschaften oder die Verantwortlichen im Schiedsrichterwesen - positiv zu überraschen, weil eine gewisse Leistung als normal vorausgesetzt wird?
Suresh Thiyagarajah:Das kann man genau so sagen.
Ramesh Thiyagarajah:Das hat jedoch auch den Vorteil, dass die Mannschaften wissen, woran sie bei uns sind und was sie dürfen. Das hat sich über die Jahre entwickelt.
Suresh Thiyagarajah:Und wir freuen uns natürlich sehr über das Vertrauen, welches die Verantwortlichen in uns haben. Wir sind in den letzten Jahren immer wieder für Topspiele nominiert worden, haben sowohl bei den Männern als auch bei den Frauen beim Final Four um den DHB-Pokal gepfiffen.
Es war nicht nur ein langer Weg speziell zur Weltmeisterschaft; es war generell ein langer Weg aus dem Oberbergischen Handballkreis, um überhaupt so weit nach oben zu kommen. Wie surreal ist das immer noch für euch?
Ramesh Thiyagarajah:Das war nie unser Ziel, als wir gestartet sind und wir hätten uns das damals nie erträumt. Wir haben damals nie gesagt: Wir wollen in die Bundesliga. Wir haben angefangen und wollten mal gucken - und jetzt sind wir auf einmal bei der Weltmeisterschaft. Das hat sich über die Jahre entwickelt, aber damit rechnen konnten wir nie.
Suresh Thiyagarajah:Es ist auch immer noch ein bisschen surreal, wenn wir vor oder nach dem Spiel an der Halle nach einem Autogramm oder Foto gefragt werden oder jüngere Schiedsrichter unbedingt Tipps haben wollen. Oder wenn wir mit Arbeitskollegen sprechen und die dann sagen: "Wow, ihr pfeift wirklich Bundesliga?" In solchen Momenten realisieren wir erst selbst, wie weit wir es geschafft haben - und wir genießen jede Sekunde, die wir auf diesem Niveau erleben.
Was ist der größte Benefit, den ihr für euch aus dem Pfeifen mitgenommen habt?
Suresh Thiyagarajah:Wir haben beide beruflich maximal vom Pfeifen profitiert; in Punkto Entscheidungsfreude, dem Umgang mit Druck, Konflikte auszuhalten bzw. zu lösen. Auf das ganze Repertoire, was wir als Schiedsrichter in wenigen Sekunden auf dem Spielfeld abrufen müssen, können wir auch im Beruf zurückgreifen. Ich wäre beruflich nicht so weit gekommen und auch nicht als Führungskraft unterwegs, wenn ich den Handball nicht gehabt hätte.
Ramesh Thiyagarajah:Es gibt einfach unheimlich viele Parallelen. Mit Rückschlägen muss man sowohl auf dem Spielfeld als auch im Beruf umgehen. Gelassen in Situationen reinzugehen, einen klaren Blick zu haben, niemanden zu benachteiligen: Das ist eins zu eins in beiden Bereichen umsetzbar und extrem hilfreich. Es kommt mitunter vor, dass die Kollegen wissen wollen, warum ich noch so entspannt bin, obwohl sie an die Decke gehen (beide lachen).
Ein weiterer Benefit: Die Zeit mit dem Bruder? Oder hättet ihr auch ohne Pfeifen so viel Zeit miteinander verbracht?
Ramesh Thiyagarajah:Es wäre durch die räumliche Trennung schon gar nicht möglich, dass wir fast jede Woche uns sehen. Auch an dieser Stelle spielt uns das Pfeifen voll in die Karten, weil wir uns öfter sehen.
Suresh Thiyagarajah:Das Pfeifen verbindet. Wir sind natürlich Brüder, aber dass wir ein gemeinsames Hobby haben und gemeinsame Ziele verfolgen, hat uns noch mehr zusammengeschweißt. Das ist eine tolle Sache, wenn man das als Geschwister machen kann.
Ramesh Thiyagarajah:Es hat sich eigentlich auch nichts im Vergleich zu früher geändert: Wir streiten uns nach den Spielen, aber am nächsten Tag ist alles wieder gut (lacht). Das hat sicherlich damit zu tun, dass wir Geschwister sind, aber auch damit, dass wir so lange einen gemeinsamen Weg gehen und wissen, wo wir hinwollen.
Zum Abschluss: Was ist der ultimative Tipp von euch für den Schiedsrichter-Nachwuchs?
Ramesh Thiyagarajah:Es klingt abgedroschen, aber: Dranbleiben! Es kommen Rückschläge, es kommen schlechte Spiele, es kommen Eltern, Zuschauer und Spieler, die in der Halle unfreundlich zu euch sind, aber um den nächsten Schritt zu machen, müsst ihr dranbleiben.
Suresh Thiyagarajah:Und nicht die Geduld verlieren! Eine Laufbahn als Schiedsrichter ist ein cooler Ritt, man lernt unfassbar viel für sich als Mensch und wenn man lang genug dranbleibt und hart arbeitet, kann man auch alles erreichen.
Ramesh Thiyagarajah:Dafür ist es jedoch ganz wichtig, positiv zu sein. Das gilt auch in der Kommunikation untereinander. Negative Situationen oder Fehler werden nicht auf dem Feld ausdiskutiert, sondern die muss man gemeinsam abhaken. Da kann es unglaublich helfen, wenn man sich gegenseitig aufbaut. Das kann mit einem Satz über Headset sein, das kann beim Zusammenkommen in der Auszeit sein oder eine aufmunternde oder lobende Geste, auf die man sich im Gespann einigt, um sich aufzubauen.