"Schiedsrichter/Spielleiter sollen pädagogisch pfeifen, d.h. sie sollen erklären und erziehen, ggf. auch ermahnen, aber nur im Extremfall sanktionieren oder bestrafen", formulierte es der Deutsche Handballbund vor rund zehn Jahren in den 'Durchführungsbestimmungen für eine einheitliche Wettkampfstruktur im Kinder- und Jugendhandball'.
Während sich die Trainer für die Besonderheiten des Kinderhandballs an der Rahmentrainingskonzeption (RTK) orientieren können, bleibt die Interpretation, was pädagogisches Pfeifen auf dem Feld konkret bedeutet, den Schiedsrichtern jedoch weitestgehend selbst überlassen. Die Balance zu finden, welche Verstöße gegen das Regelwerk man - im pädagogischen Sinne - nicht ahndet und wann man auch im Kinderhandball durchgreifen muss, ist nicht einfach.
Paradoxerweise befinden sich gerade die unerfahrensten Schiedsrichter:innen - die Neulinge und frisch gebackenen Lizenzinhaber - am häufigsten in der Situation, mit Fingerspitzengefühl entscheiden zu müssen, wann sie die gerade erst gelernten Regeln anwenden und wann sie das Regelwerk zu Gunsten des Spielerlebnisses - in Anführungsstrichen - ignorieren. Für die eigene Weiterentwicklung als Schiedsrichter sind die Einsätze im Kinderhandball jedoch unabhängig davon von unschätzbaren Wert.
Einheitliche Vorgaben oder Handlungsanweisungen für die Umsetzung des pädagogischen Pfeifens, die bundesweit gelten, gibt es aktuell nicht. Ein Grund dürften die stark differenzierenden Regularien sein, die in E- und F-Jugend für den Spielbetrieb gelten; Spielformen und Sonderregeln unterscheiden sich von Region zu Region und entsprechend ist es schwierig, allgemein gültige Vorgaben zu formulieren.
Einzelne Verbände haben Richtlinien für ihre Unparteiischen veröffentlicht. "Bei Regelverstößen grundsätzlich eingreifen, nie Fehler „durchgehen lassen" und dann erklären, dass das falsch war", schreibt beispielsweise der HV Württemberg in Tipps und Tricks - Kinderhandballspieltag und schiebt hinterher: „Kinder nehmen Torerfolg als Bestätigung der Handlung."
Der Handballverband Berlin formuliert es hingegen offener. "Technische Fehler werden entsprechend dem Leistungsvermögen der Kinder strenger oder milder gepfiffen", heißt es in "Ratschläge für Schiedsrichter (E- und F-Jugend). „Ein Tor nach eindeutigem Schrittfehler sollte z.B. nicht gegeben werden, eher können aber 4 - 5 Schritte in der Mitte des Spielfelds toleriert werden (verbunden mit dem kurzen Ruf „Achtung, nur drei Schritte mit dem Ball in der Hand").“
Denn wer sich im Kinderhandball bewegt, wird schnell feststellen, dass gerade bei den Anfänger:innen in der E- und F-Jugend bei Regelverstößen oft kein böser Wille der Grund ist, sondern Unwissenheit oder Unbeholfenheit. Für ein gelungenes Spielerlebnis ist dem Entwicklungsstand Rechnung zu tragen.
Sprich: Bei Anfänger:innen wird pädagogisch gepfiffen und vielleicht - siehe oben - auch mal der vierte Schritt an der Mittellinie übersehen; spielt eine E-Jugend jedoch schon einen schnellen Ball und beherrscht die Grundlagen, kann nahezu 'normal' gepfiffen werden.
7 Tipps für das pädagogische Pfeifen im Kinderhandball
Hinweis: Diese 7 Tipps sind als Anregungen bzw. Gedankenanstöße für den Einsatz gerade bei Handball-Neulingen und Spiel-Anfänger:innen zu verstehen. Sie sind nicht verpflichtend umzusetzen, sondern sollen eine Hilfestellung sein.
1. Sei dicht dran!
Bei den Erwachsenen und im Jugendbereich muss der Schiedsrichter im laufenden Spiel einen gewissen Abstand zu Spielern und Ball halten, um dem Spielfluss nicht im Weg zu stehen. Im Gewusel beim Kinderhandballs gilt hingegen: Sei dicht dran! Halte dich immer in der Nähe des Balls auf, damit du bei den Entscheidungen dicht an den Kindern dran bist und sie auf die Entscheidung reagieren bzw. du ohne Zeitverzögerung interagieren kannst (siehe Punkt 3).
2. Klar und deutlich!
In der E- und F-Jugend erlernen die Kinder gerade die Grundlagen des Handballspiels - entsprechend wichtig ist es, dass du deine Entscheidung deutlich machst. Pfeife laut und zeige mit einem Handzeichen klar und vielleicht auch ein, zwei Sekunden länger als bei Erwachsenen an, was du entschieden hast und vor allem, in welche Richtung das Spiel weitergehen soll. Erkläre deine Entscheidung zusätzlich, wenn du nicht sicher bist, ob alle Kinder es verstanden habe. Die Kinder sollten immer wissen, warum du gepfiffen hast.
3. Gib Hilfestellung!
Geh in das Gespräch mit den Kindern und erkläre ihnen, wie sie etwas richtig machen: "Beim Einwurf musst du einen Fuß auf die Linie stellen" oder "Denkt daran, beim Handball halten wir drei Meter Abstand bei einem Freiwurf." Nutze eventuell auch lieber in Trikotfarben zur Orientierung („Es geht mit Freiwurf für die blaue Mannschaft weiter“) als Abkürzungen der Vereinsnamen („Freiwurf für die HSG“).
4. Sei geduldig
Im Kinderhandball braucht der Schiedsrichter eine gewisse Geduld. Wenn es länger dauert, bis die Kinder korrekt für die Freiwurfausführung stehen oder ein Spieler nach einem gegnerischen Torerfolg ganz langsam bis in die Anwurfzone prellt anstatt einfach dorthin zu laufen: Durchatmen!
5. Nicht alle Regeln sind geeignet!
Kinder lernen zunächst die Grundregeln. Drei Schritte, Doppel-Prellen und Übertritt verstehen selbst die jüngsten Handballer in den ersten Monaten. Andere Regeln lernen viele Kinder hingegen erst später kennen, weil sie einfach nicht zur Art und Weise des eigenen Spiels passen - wie das passive Spiel. F- und E-Jugenden spielen in der Regel nicht absichtlich 'drucklos', sondern können einfach keinen Druck auf Tor entwickeln, weshalb Ergebnisse wie 3:6 in 40 Minuten normal sind.
Verzichtet darauf, 'fortgeschrittene' Regeln wie das passive Spiel im Kinderhandball anzuwenden. Auch das Handzeichen für Stürmerfoul dürften viele Kinder nicht kennen. Die Bestrafung bei Abstandsvergehen sollte ebenfalls unterbleiben, wenn deutlich ist, dass es keine Absicht ist; ebenso wie das Passen des Balls nach einem Freiwurfpfiff.
Natürlich sollen die Kinder lernen, dass sie bei einem Freiwurf gegen sich den Ball hinlegen sollen, aber wenn sie im Übereifer einfach weiterspielen und erst verzögert reagieren, ist eine Erklärung für den Lerneffekt besser als eine progressive Bestrafung. Das gilt auch bei Wechselfehlern.
6. Progression mit Augenmaß
Im Kinderhandball sind eine gelbe Karte und eine Zeitstrafe noch nicht so normal wie für die "Großen". Seid daher nicht überrascht, falls auf eine Verwarnung oder Hinausstellung Tränen folgen.
Grundsätzlich gilt jedoch: Strafen sollten mit Augenmaß gegeben werden, aber wenn es notwendig ist, müssen sie auch gegeben (und erklärt) werden. „Bei übertriebenem Einsatz, unfairem Verhalten und damit fehlender Achtung vor der Gesundheit der Gegenspieler (Schubsen, besonders schlimm im Sprung des Angreifers, Anspringen oder ständiges Klammern oder Reißen) sollte in der E-Jugend nicht gezögert werden, 2-Minuten-Strafen nach Begründung in eindringlichem Ton zu verhängen“, schreibt auch der HV Berlin und schlägt zudem als Vorstufe vor: "Eindringliche Worte wie „Du sollst nicht ständig festhalten. So macht das Spiel keinen Spaß!" oder "Du kannst doch Deinen Gegenspieler nicht einfach umrennen. Das tut ihm doch weh. Das wollen wir hier nicht!", sind geeignet, solche Fouls zu unterbinden.“
7. Kenne die Sonderregeln!
(Fast) alle Landesverbände und teilweise sogar die Kreis- bzw. Bezirksverbände haben eigene Regularien für den Spielbetrieb in E- und F-Jugend erlassen. Lies dir diese am Anfang einer Saison genau durch und speichere sie eventuell auf dem Smartphone ab oder drucke sie dir aus, sodass du sie bei Unklarheiten - auch Trainer sind manchmal nicht auf dem aktuellsten Stand, wenn es Änderungen gab - griffbereit hast.