Hand heben, wer das folgende Rezept für erfolgversprechend erachten würde: Ein Kader mit Schieflage, mit vielen Bigs, aber kaum bewiesenen "kleinen" Spielern, kaum Ballhandling, kaum Shooting. Zwei Stars: Einer ohnehin langzeitverletzt, der andere nicht unbedingt aus solider Eiche gebaut (und zum Saisonstart nicht wirklich, äh, austrainiert). Diverse Ausfälle.
Und als Mittel dagegen: Ein blutjunger Rookie, der am besten alle Probleme im Alleingang kaschieren, dabei nebenher noch eine neue Position erlernen sollte.
Sind wir ehrlich: Es gab Warnsignale. Es war erwartbar, dass die Dallas Mavericks zumindest offensiv nicht mit dem besten Rhythmus aus den Startlöchern kommen würden. Dass es bisweilen so aussehen würde, als fehle dem Kader die Balance, weil das, nun ja, eben wirklich der Fall ist.
Trotzdem sind die ersten Saisonwochen in Dallas ernüchternd verlaufen - oder erschreckend. Es gibt zwei Teams mit jeweils bloß einem Saisonsieg, die bisher eine bessere Offense stellen als die Mavs. Kein Wunder, dass nach der kurzzeitig erholten, durch die Lottery befriedeten Offseason nun gefühlt schon wieder der Baum brennt.
Dirk "Captain Obvious" Nowitzki
Für die Fehleranalyse lässt sich einer befragen, der, auch wenn er mit dem aktuellen Regime keine Verbindung mehr hat, natürlich nicht unbeteiligt hinsieht. "Das ist ein desaströser Start", sagte Dirk Nowitzki am Freitag bei Amazon Prime. "Sie können nicht werfen, nicht kreieren. Es ist hart, sich das anzusehen."
In Zahlen: Dallas nimmt nicht viele Dreier und trifft sie schlechter als alle anderen Teams. Am Ring, wo die Mavs mit ihrer Länge vermeintlich dominieren sollten, verzeichnen sie bisher die viertschlechteste Quote. Nicht zuletzt deshalb, weil sie kaum in der Lage sind, ihren Bigs mundgerechte Anspiele zu servieren, welche diese nur noch durch die Reuse drücken müssen.
Dallas hat ein Creation-Problem, kaum fähige Ballhandler. Aus Isolation scoren können die Mavs ebenfalls nicht. Play-Finisher wären zwar da, diese müsste nur eben jemand in Szene setzen. Dumm nur, dass in dieser Hinsicht eine Lücke besteht, die wiederum eigentlich niemanden überraschen dürfte.
"Es gibt offensichtlich ein Loch auf der Point-Guard-Position", gab abermals Nowitzki den Captain Obvious. "Wir wissen, dass dieses Loch im Sommer nicht gefüllt wurde." Was nicht ganz stimmt, tatsächlich verpflichteten die Mavs ja D’Angelo Russell als Lückenfüller - und die Offense ist in seinen Minuten um 6,6 Punkte besser. Was mehr gegen den Kader als für ihn spricht …
Dallas Mavericks: Der unmögliche Start des Cooper Flagg
Von der Starting Five aus dem Eröffnungsspiel starteten zuletzt nur noch zwei Akteure. Anthony Davis wich verletzungsbedingt, genau wie Dereck Lively II. Klay Thompson, der einzige Shooter dieser Auswahl, gab seinen Platz als Starter hingegen deshalb vorerst ab, weil er schlichtweg gar nichts traf (7,6 Punkte, 26,4% Dreier).
Die einzigen Konstanten bisher waren P.J. Washington, der den Dreier auch nicht trifft (25,5%), und Cooper Flagg, der einen denkbar schwierigen Start in seine NBA-Karriere erlebt. Es wäre schon eine Herausforderung gewesen, in einer funktionierenden Offense in der Liga anzukommen; Flagg jedoch sollte idealerweise selbst dafür sorgen, diese funktional zu machen, nebenher eine für ihn nicht natürliche Position erlernen.
Russell ist auch deshalb kurzzeitig in die Starting Five gerückt (ehe ihn Brandon Williams gegen Milwaukee wieder verdrängte), weil das "Flagg als Point Guard"-Experiment in diesem Ökosystem zum Scheitern verurteilt war. Der Rookie ist ein guter Ballhandler und Passer für einen 18-jährigen Forward, nicht aber für einen NBA-Starter auf der Eins. Sein On/Off-Swing beträgt bisher -25,6, das ist einer der schlechtesten Werte der gesamten Liga.
Es liegt nicht an ihm
"Das sind die meisten Niederlagen, die ich, glaube ich, jemals kassiert habe", sagte der Ex-Dukie nach der Niederlage gegen die Pelicans vergangene Woche, als Dallas im letzten Viertel kaum Plays lief und er selbst einen potenziellen Ausgleich mit der Sirene vergab. "Es ist nicht der Start, den wir uns gewünscht haben."
Ihm selbst ist dabei kaum ein Vorwurf zu machen. Es ist erkennbar, wie talentiert Flagg ist, welchen defensiven Ehrgeiz er mitbringt, wie explosiv seine Athletik wirkt, wenn er mal die Möglichkeit hat, Coast-to-Coast zu gehen oder nach bereits kreiertem Vorteil downhill zu attackieren.
Es gibt aber zu wenige dieser Vorteile. Und er selbst ist noch nicht in der Lage dazu, diese beständig für sich zu kreieren. Was eigentlich erneut nicht überraschen sollte, da Flaggs Reiz als Prospect nie darin bestand, eine Ein-Mann-Offense zu sein wie beispielsweise der, dessen Name in Dallas nicht mehr genannt werden darf.
Dass die Mavs darauf nicht vorbereitet wirken, ist das größere Problem. Zumal es zumindest in gewisser Weise vermeidbar erschien, die Schieflage des Kaders schon in der Offseason thematisiert wurde.
Mavericks: Der Strohhalm namens Kyrie
In Ligakreisen wird bereits darüber spekuliert, welche Konsequenzen der Fehlstart für Dallas haben könnte. Es sei "absolut eine legitime Frage", ob GM Nico Harrison seinen Job behalten werde, sagte Dallas-Experte Tim MacMahon kürzlich bei ESPN. Viele Mavs-Fans hoffen bekanntlich bereits seit dem vergangenen Februar dagegen. Das Vertrauen zwischen Harrison und Team-Governor Patrick DuMont, der den Doncic-Trade abgesegnet hatte, habe sich nahezu komplett in Luft aufgelöst.
Natürlich muss dazu fairerweise erwähnt werden, dass Harrisons Vision bisher auch noch nicht umgesetzt werden konnte, da ein essenzieller Bestandteil davon ja fehlt und auch Anthony Davis bloß fünf Spiele absolvieren konnte. Der Strohhalm in Form eines Star-Guards existiert noch für Dallas. Kidd zufolge könnte die Rückkehr von Kyrie Irving sogar recht bald anstehen.
"Wir können es nicht erwarten, Kai irgendwann wieder zu haben", sagte der Coach vor wenigen Tagen. "Hoffentlich passiert es im Jahr 2025, nicht 2026. Aber wir werden sehen, was passiert." Bisher hatte Dallas nie von einer offiziellen Timeline gesprochen, stets nur erwähnt, der 33-Jährige sei "dem Zeitplan voraus".
Eine Rückkehr im Dezember wäre nach einem Kreuzbandriss dabei fast rekordverdächtig schnell. Für gewöhnlich braucht ein Spieler nach einer solchen Verletzung etwas Zeit, um wieder er selbst zu werden. Und selbst mit einem fitten Kyrie hätten die Mavs noch verhältnismäßig wenig Shooting und Playmaking.
Für die Mavs ist nicht alles verloren
Einen Hoffnungsschimmer repräsentiert Irving logischerweise trotzdem. Er ist auch nicht der einzige. Flagg wird sich besser akklimatisieren, je mehr Zeit er dafür hat. Christie zeigte zuletzt gute Leistungen im Backcourt, auch Klays Wurf wird nicht einfach weg sein (sollten die Mavs ihn behalten). Die Defense ist gut, immerhin. Trade-Möglichkeiten hat Dallas auch nach wie vor mit seinem Überangebot an Bigs.
Auch auf dem Court gibt es noch tiefhängende Früchte. Bisher spielt Dallas nicht wie ein Team, das Größenvorteile hat. Die Mavs holen die drittwenigsten Offensiv-Rebounds der Liga - vielleicht könnte ihnen der Nachbar Houston als Anschauungsbeispiel dienen, wo zumindest einige der kreativen Probleme auch bestehen, über pure Dominanz am Brett aber sogar eine der besten Offensiven der Liga produziert wird.
Es sind noch nicht alle Karten gespielt, verloren muss weder diese Saison noch die gesamte Konstruktion dieses Teams sein. Dass der Start dermaßen schlecht verlief, ist dennoch alarmierend. Denn zu einem nicht unwesentlichen Anteil sind die Probleme der Mavs eben hausgemacht.
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