Ob Bundesliga, Regionalliga oder Kreisklasse: Jeder Schiedsrichter und jede Schiedsrichterin hat irgendwann für sich die Entscheidung getroffen, zur Pfeife zu greifen. Der eine fängt mit 13 Jahren an, die nächste entscheidet sich während des Studiums dafür - und manches Elternteil steigt quer ein, weil das Kind ohnehin ständig in der Halle ist.
Es gibt zahlreiche Gründe, warum sich jemand für den Job an der Pfeife entscheidet - und mindestens ebenso viele Gründe, es nicht zu tun. Der Schiedsrichter-Mangel an der Basis ist für den Deutschen Handballbund und seine Landesverbände kein Geheimnis. Hört man sich bei Vereinen, Verbänden oder Unparteiischen um, wird dieser Mangel fast überall bestätigt.
Auf den ersten Blick erscheint der Nachweis einfach: Seit 2004 (28.422) ist die Anzahl der von den Landesverbänden gemeldeten Schiedsrichter:innen deutlich gesunken. Die jüngste Erhebung aus dem Jahr 2004 weist gerade einmal 18.208 Unparteiische aus. Es gibt deutschlandweit also rund 10.000 Schiedsrichter:innen weniger als noch vor 20 Jahren.
Absturz in der Pandemie
Ein Blick auf die Erhebung der Schiedsrichterzahl bestätigt in Summe den Negativtrend. Seit dem Höchstwert von 2007 (30.156) nimmt die Zahl zunächst langsam, aber dennoch kontinuierlich ab, um zwischen 2019 (26.255) und 2022 (19.268) plötzlich abrupt abzusacken.
Die Erklärung ist naheliegend und auch von zahlreichen Verantwortlichen geschildert: Während der Corona-Pandemie ließen viele Schiedsrichter:innen ihre Lizenz auslaufen - und kehrten auch danach nicht wieder an die Pfeife zurück. Für diesen Vor- bzw. Nach-Pandemie-Vergleich die Zahl von 2019 heranzuziehen, bietet sich an, da die Erhebung in der Regel im Herbst bzw. Winter eines Jahres rückwirkend für dasselbe stattfindet. Es handelt sich um damit die Zahl kurz vor Ausbruch der Pandemie.
Dass die Schiedsrichterzahl über die Pandemie so rapide abgesackt ist, dürfte mehrere Gründe haben. Sicherlich haben viele Unparteiische tatsächlich - aus welchen Motiven auch immer - aufgehört. Hinzu dürfte kommen, dass die Zwangspause des Spielbetriebs genutzt wurde, um sich einen neuen Überblick über die Datenlage zu verschaffen, sodass Karteileichen aus der Zählung fallen. Und die fortgeschrittene Digitalisierung dürfte die Zahlen besser erfassbar gemacht haben.
Welche Aussagekraft die Schiedsrichterzahl tatsächlich hat, ist indes unklar. Einzeln betrachtet zeichnet sich ein Negativtrend ab, es gilt jedoch auch zu berücksichtigen, dass die Mannschaftszahl (Erwachsene bis einschließlich D-Jugend; E-Jugend und Minis nicht eingerechnet) ebenfalls abgenommen hat. Das würde rein statistisch bedeuten: Seit der Saison 2015/16 (22.181 Mannschaften) ist die Abdeckung im Vergleich zur Spielzeit 2023/2024 (18.944 Mannschaften) von 0,83 Schiedsrichtern auf 0,98 Schiedsrichter pro Mannschaft gestiegen.
Hinzu kommt eine gewisse Unschärfe in den Zahlen, weil nicht klar ist, auf welcher Basis die gemeldeten Zahlen entstehen. Ob es sich um die Anzahl an gültigen Schiedsrichterlizenzen handelt oder um Schiedsrichter:innen, die in der laufenden Saison grundsätzlich pfeifen wollen oder bereits mindestens ein Spiel gepfiffen haben, kann einheitlich nicht beantwortet werden. Der Deutsche Handballbund errechnet die Schiedsrichterzahl basierend auf den aus den Landesverbänden gemeldeten Zahlen, welche die Landesverbände entweder selbst erfasst haben oder sich wiederum von ihren Kreis- bzw. Bezirksverbänden melden lassen.
Außerdem sagt die Schiedsrichterzahl an sich nichts über die Einsatzbereitschaft der einzelnen Schiedsrichter:innen aus. Eine Statistik, wie viele Spiele ein Schiedsrichter im Durchschnitt pfeift, ist deutschlandweit nicht verfügbar. Hört man sich unter den Ansetzern und Schiedsrichterwarten an der Basis um, wird deutlich, dass die Einsatzbereitschaft extrem divergierend ist. Während einige Unparteiische den Spielbetrieb mit über 300 Einsätzen pro Saison tragen, übernehmen andere in einer Spielzeit keine drei Spiele. Durch die zahlreichen Freitermine müssen die Ansetzer ihre Spiele mitunter trotz 20 bis 40 Prozent Fehlquote besetzen.
Der Schiedsrichtermangel lässt sich daher nicht alleine an der gesunkenen Anzahl der Schiedsrichter:innen festmachen; hinzu kommt auch ein Mangel in der Verfügbarkeit der Schiedsrichter:innen, die es überhaupt noch gibt. Mit Zuckerbrot und Peitsche für die Vereine - Förderprogrammen ebenso wie Strafen für das Nicht-Erfüllen des Schiedsrichtersolls (ob Punktabzug oder Geldstrafen) - versuchen die Verbände, dieser Entwicklung entgegenzuwirken, doch bisher hat das den Trend nicht stoppen können.