Alfred Gislason, starten wir mit einem Blick zurück. Bei der Frauen-WM waren Sie regelmäßig in der Halle. Wie haben Sie das Turnier wahrgenommen? Was hat Ihnen besonders gefallen?
Alfred Gislason: Die Spielweise. Die deutsche Mannschaft hat richtig guten Handball gespielt und sich super präsentiert. Die Stimmung war zudem überragend in den Hallen, so kennt man es bei Turnieren in Deutschland. Es ist extrem wichtig für den Frauenhandball, dass er diese Anerkennung bekommt. Und es war schön, dass die Spiele ab dem Viertelfinale auch im frei empfangbaren Fernsehen übertragen worden sind.
Die deutsche Mannschaft begeisterte mit Silber. Gibt es etwas, was sich die Männer abschauen können?
Die mannschaftliche Geschlossenheit ist etwas, was jeder Trainer unbedingt haben möchte. Darauf vertraue ich, dass unsere Mannschaft das genauso zeigt. Die Frauen haben außerdem das gezeigt, wofür auch die Männer stehen: dass sie eine Turniermannschaft sind. Die haben die richtige Stimmung gefunden, sich dann reingesteigert. Das ist natürlich etwas, das ich auch bei uns sehen möchte.
Gibt es einen Austausch mit Frauen-Bundestrainer Markus Gaugisch zu solchen Themen? Schauen sich die Frauen was von den Männern ab?
Nein. Wir Trainer beim DHB haben eine WhatsApp-Gruppe. Da schicken wir allerdings nicht ständig Tipps, sondern eher Glückwünsche. Markus Gaugisch war ja sehr lange selbst als Spieler im Männerbereich unterwegs, da ist er sehr gut informiert über das, was wir so machen.
"Aber deshalb schlafen wir nicht schlecht"
Schauen wir auf die bevorstehende EM. Schlafen Sie schon schlecht?
Nein, überhaupt nicht. Wir wissen alle, dass dieses Turnier sehr schwierig sein wird, weil wir schwere Aufgaben vor uns haben. Aber deshalb schlafen wir nicht schlecht. Unsere Ziele bleiben die gleichen. Wir haben eine junge Mannschaft, die in den vergangenen Jahren immer mehr Erfahrungen gemacht hat und immer besser zueinanderfindet.
Jetzt hoffe ich natürlich, dass da eine weitere Steigerung kommt, und dann haben wir Chancen. An guten Tagen können wir alle schlagen. Dänemark ist der klare Favorit bei jedem Turnier, aber alle, die dahinterkommen, sind relativ eng beieinander.
Spanien, Österreich und Serbien heißen die deutschen Vorrundengegner. Danach geht es womöglich gegen Titelverteidiger Frankreich, Weltmeister und Olympiasieger Dänemark, Norwegen und Portugal. Sie sprachen im Vorfeld vom 'härtesten Turnier', das Sie je gespielt haben.
Schon die Gegner in der Vorrunde haben es in sich, das große Problem ist aber die Hauptrunde. Wenn man ins Halbfinale kommen möchte wie wir, darf man in der Gruppe gar keinen Punkt liegen lassen. Schon zwei Niederlagen könnten das Aus im Kampf ums Halbfinale bedeuten. Deswegen ist unser erstes Ziel, alles daran zu setzen, die Gruppe zu gewinnen.
Gibt es Grund für Optimismus?
Ja, ich vertraue unserer Mannschaft. Sie ist sehr gut und kann ein super Turnier spielen. Wir haben mehr Breite als oft zuvor. Franz Semper und Renars Uscins sind fitter als vor einem Jahr. Zudem haben wir mit Miro Schluroff einen Rechtshänder, der die Aufgabe dort lösen kann. Wir haben eine sehr junge Mannschaft, aber wir haben den Großteil seit drei Jahren zusammengehalten und immer mehr Erfahrung.
Daher denke ich, dass wir ein sehr gutes Turnier spielen können und uns vor keinem Gegner verstecken müssen. Ich bin sehr optimistisch und freue mich auf dieses Turnier mit den Jungs, wohlwissend, dass es sehr schwierig sein wird. Die Mannschaft ist so weit, dass sie auch so eine Situation meistern kann.
Verspüren Sie angesichts der starken Gegner einen besonderen Ehrgeiz?
Ja. Wir müssen schon Anfang Januar in den beiden Kroatien-Spielen richtig reinkommen. Das sind keine üblichen Vorbereitungsspiele, es geht schon sehr gnadenlos los. Diesen Rhythmus müssen wir danach beibehalten. Diesmal geht keiner von den Spielern mit Stress in dieses Turnier, sondern mit Vorfreude, etwas erreichen zu wollen und vor allem zu können.
Was trauen Sie der Mannschaft zu, wie lautet die Zielsetzung?
Ziel ist das Halbfinale. Unsere durchschnittliche Platzierung in den letzten vier Jahren - das wissen viele nicht - ist Platz drei hinter Schweden und Dänemark. Das ist nicht so schlecht mit der jungen Mannschaft. Natürlich hoffe ich, dass wir uns da weiterhin etablieren und auch Dänemark angreifen können.
Aber das liegt an uns, an der Mannschaft selbst. Wenn ich die Charaktere sehe, die sich mehr und mehr zeigen, die auch in ihren Vereinen Führungsrollen übernommen haben, macht mich das sehr stolz. Ich bin zuversichtlich, dass die Mannschaft diese Last, die eine extrem harte EM mit sich bringt, meistern kann.
"Dänemark hat eine Sonderstellung"
Wer sind die Favoriten auf Gold?
Dänemark hat eine Sonderstellung. Dahinter kommen auch schon die Kroaten, wir, die Franzosen und die Spanier. Auch die Schweden sind Medaillenanwärter. Auch Island hat eine sehr gute Mannschaft.
Einige deutsche Fans befürchten, dass es womöglich Ihre letzte EM als Bundestrainer sein könnte. Können Sie Entwarnung geben?
Natürlich ist das möglich. Ich habe einen Vertrag bis 2027, aber ich habe auch nie gesagt, dass ich dann als Trainer aufhören möchte. Mir macht es Riesenspaß. Wenn ich nach 2027 nicht mehr die deutsche Nationalmannschaft trainiere, ist es halt so. Aber ich werde weitermachen, wenn ich etwas Interessantes bekomme. Mir macht Handball einfach Riesenspaß.
Natürlich ist mir auch klar, dass ich nicht der Jüngste im Feld bin. Ich werde jede Entscheidung des Deutschen Handballbundes akzeptieren. Ich werde auch weiter ein riesiger Fan dieser Mannschaft sein, denn ich bin extrem stolz auf diese Mannschaft. Aber ich werde weitermachen, also werde ich dann bei der nächsten EM 2028 vielleicht eher auf einer anderen Bank sitzen.
Ihr Vertrag läuft 2027 aus. Zuletzt hatte es unterschiedliche Interpretationen über Ihre Ambitionen gegeben. Haben Sie schon einen festen Plan für die Zeit danach?
Ich habe ein extrem gutes Verhältnis zu den Leuten im DHB und bin immer im Austausch. Wenn sie meinen, sie wollen einen jüngeren Trainer haben - davon gibt es eine ganze Reihe richtig guter in Deutschland - dann ist es halt so. Ich bin jetzt so lange dabei, dass ich natürlich gerne weiter mit der Mannschaft arbeiten möchte. Aber ich bin in dieser Hinsicht Profi. Das Einzige, was ich nicht sagen würde, ist, dass ich mit Handball aufhöre. Ich habe das schon mal versucht, das war nicht so schön und hat mir auch nicht viel Spaß gemacht.
"Nicht wie die Generation Kretzsche"
Kennen Sie Udo Jürgens?
Ja. Warum?
In einem berühmten Schlager von Udo Jürgens heißt es: 'Mit 66 Jahren - da fängt das Leben an.' Können Sie das bestätigen? Gibt es noch Lebensträume, die Sie sich verwirklichen wollen?
Ja, natürlich. Ich habe alle Medaillen gewonnen - bis auf einige mit der Nationalmannschaft. Ich gebe die Hoffnung aber nicht auf, dass ich die auch noch hole, bevor die nächsten 66 Jahre zu Ende sind.
Wie verbringen Sie Silvester?
Ich fliege für vier Tage nach Island und schaue mir den Rest meiner Enkelkinder an.
Für die Mannschaft geht es am 4. Januar vergleichsweise spät in die unmittelbare EM-Vorbereitung. War das eine bewusste Entscheidung?
Die Spieler spielen zwischen Weihnachten und Neujahr. Es bringt mir nichts, die Jungs schon zu früh durch die Halle zu jagen. Wir lassen die Spieler sich diesmal ein bisschen länger ausruhen. Außerdem sind wir besser eingespielt als in den Jahren zuvor.
Dürfen die Spieler an Silvester denn fröhlich knallen oder gibt es ein Partyverbot des Bundestrainers?
Die dürfen ruhig feiern. Aber wie ich sie kenne, sind sie sehr vernünftig. Nicht wie die Generation Kretzsche.
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