Carlos Alcaraz ist erst 22 Jahre alt, Jannik Sinner auch nur 24 - und dennoch trafen die zwei Ausnahmekönner im Endspiel von Turin bereits zum 16. Mal aufeinander. Im Head-to-Head führte der Spanier mit 10:5, doch Sinner trat mit einer unglaublichen Serie von 30 Siegen auf Indoor-Hardplatz in Folge an - an Selbstvertrauen dürfte es beiden Spielern nicht gemangelt haben.
Beide hatten sich in diesem Jahr schon phänomenale Duelle geliefert, mit dem French-Open-Finale als absolutem Highlight. In Turin erreichte das Duo dann aber nicht das gleiche Niveau, allerdings lieferten sich Sinner und Alcaraz dennoch einen offenen und spannenden Schlagabtausch. Beide Spieler wirkten teilweise nervös, überzeugten aber bei eigenem Aufschlag, wenngleich der Südtiroler gefühlt mehr arbeiten mussten, um seine Service Games durchzubringen. Beim Stand von 2:1 für Alcaraz wurde das Match in Satz 1 dann aber wegen eines medizinischen Zwischenfalls und anschließenden Notarzteinsatzes auf der Tribüne für fast zwölf Minuten unterbrochen.
Medizinischer Notfall, dann Medical Timeout
Anschließend ging es weiter: Alcaraz, der sein elftes Finale in diesem Jahr spielte - vier davon (Rom, Roland Garros, Cincinnati und die US Open) gewann er gegen Sinner -, musste dann beim Stand von 5:4 aus seiner Sicht ein Medical Timeout nehmen, der Spanier wurde vom Physio am hinteren rechten Oberschenkel massiert. Die große Frage: Wie sehr beeinträchtigte ihn das? Die Antwort: Offenbar nicht besonders. Sinner teste den Weltranglistenersten, der mit seinem Einzug ins Finale von Turin zum jüngsten Spieler, der sowohl bei einem Grand Slam, einem Masters, den Olympischen Spielen und den ATP Finals das Finale erreichte, geworden war, aus, kam mit seinen Versuchen aber nicht weit.
Alcaraz spielte stabil, agierte gewohnt mutig, war aggressiv und frech. Aber es fiel auch auf, dass er langen Rallyes aus dem Weg gehen und die Punkte kürzer halten wollte. So richtig unterhaltsam wurde es dann im elften Spiel, als Sinner gegen den Satzverlust aufschlug und Alcaraz nach tollem Stopp und anschließendem klasse Netzangriff zum Breakball kam. Sinner wehrte diesen mit einem 187 km/h schnellen zweiten Aufschlag (!) ab und rettete sich anschließend in den Tiebreak.
In diesem riefen beide Spieler dann endlich ihr bestes Tennis ab und begeisterten mit teils Weltklasse-Schlägen. Als Sinner sich den Satz mit einem brachialen Service-Winner zum 7:6 (7:4) holte, war klar, dass Alcaraz auf jeden Fall über drei Sätze hätte gehen müssen.
Alcaraz lässt sich Oberschenkel einbandagieren
Der Iberer, der in dem Durchgang weniger Winner (13:17), aber auch weniger unerzwungene Fehler (10:16) hatte, ließ sich in der Pause seinen lädierten rechten Oberschenkel dick einbandagieren - und holte sich auch dank zweier Doppelfehler von Sinner zum Beginn von Satz 2 direkt das frühe Break. Jetzt war die Nummer 2 der Welt gefordert, Sinner wackelte auch und musste immer wieder kämpfen, hatte dann aber großes Glück, als ausgerechnet bei seinem ersten Breakball der Partie überhaupt ein komplett verunglückter Rahmen-Return in hohem Bogen kurz vor die Grundlinie aufprallte und so ursächlich für den folgenden Punktgewinn des Italieners zum 3:3-Ausgleich war.
Vom überwiegend italienischen Publikum gab es tosenden Beifall - und Alcaraz spürte, dass der Druck größer wurde. Dieser stieg ins Unermessliche, als der Spanier bei eigenem Aufschlag Matchball gegen sich hatte - und er hielt nicht Stand, ein Halbfeld-Cross flog deutlich ins Aus. Sinner gewann also 7:6 (7:4), 7:5 und verteidigte damit seinen Titel aus dem Vorjahr, während Alcaraz' Traum vom ersten Titel bei den ATP Finals platzte. Beide Spieler umarmten sich anschließend fair, ehe Sinner zum ausgelassenen Feiern in seine Box ging.