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Auflösungserscheinungen in Liverpool: "Über Wut bin ich schon hinaus"

kicker

Ob er in den Stunden zuvor der passende Rechtsverteidiger war, durfte man bereits bezweifeln. Als Interviewpartner war Curtis Jones nach Liverpools 1:4 gegen die PSV Eindhoven auf jeden Fall eine glatte Fehlbesetzung. Immer wieder erklärte er am Mittwochabend, keine Worte für das zu haben, was bei seinen geliebten Reds vor sich geht. Doch tatsächlich fasste niemand die Lage besser zusammen als er.

"Ich habe keine Antworten, ehrlich nicht, ich habe keine. Das sage ich zu allen", stammelte Jones bei RTE. "Es ist einfach untragbar. Über innere Wut bin ich schon hinaus, ich bin an dem Punkt, an dem mir einfach die Worte fehlen." Jones, geboren in Liverpool, war neun, als er zum Klub stieß, hat die vergangenen 15 Jahre des Klubs hautnah mitbekommen. Aber "seit langer, langer Zeit habe ich nicht mehr erlebt, dass eine Liverpooler Mannschaft eine solche Phase mit solchen Ergebnissen durchmacht. Wir stecken in der Scheiße, und das muss sich ändern."

Ein Trend ist ja schon zu erkennen bei den Reds: Es wird mit jedem Spiel schlimmer. Und wer die Krise in einen historischen Kontext setzt, muss mit ansehen, wie die Jahreszahlen immer kleiner werden. Eine Serie von neun Niederlagen in zwölf Pflichtspielen machten die Reds letztmals 1953/54 durch, drei Klatschen hintereinander mit mindestens drei Toren Differenz 1953.

In der Premier-League-Tabelle am Montag auf Platz 12 abgerutscht, muss der amtierende Meister in der Champions League als 13. mindestens um die Top 8 bangen. Als Nächstes stehen Auswärtsspiele bei Inter Mailand und Olympique Marseille an, und wer gegen Nottingham zuhause mit 0:3 untergeht, sollte lieber auch keinen Heimsieg gegen Qarabag Agdam zum Abschluss der Ligaphase fest einplanen.

"Das ist ein Schock für alle - für die Spieler, für die Journalisten, für mich, für alle"

Jeder müsse jetzt endlich Verantwortung übernehmen, hatte Kapitän Virgil van Dijk nach dem Nottingham-Debakel in einem scharfen Appell angemahnt, und Schluss mit den billigen Gegentoren! Gegen Eindhoven war die Uhr dann gerade auf vier Minuten umgesprungen, als van Dijk eine Ecke im eigenen Strafraum unter Bedrängnis wegpritschte wie beim Beachvolleyball am Netz. Mal wieder lagen die Reds früh hinten.

Sie kamen zurück, glichen aus (16.), van Dijk traf noch die Latte; nach der Pause jedoch lösten sie sich förmlich auf. Die PSV durfte zum 2:1 spazieren (56.), vor dem 1:3 (73.) trat Ibrahima Konaté, seit Wochen ein Unsicherheitsfaktor, am Ball vorbei, ehe Arne Slot ihn auswechselte (76.). Und in der Nachspielzeit lief seine verzweifelt und kopflos anrennende Mannschaft noch in einen Konter, als wäre die Tordifferenz nicht so wichtig.

"Das ist ein Schock für alle - für die Spieler, für die Journalisten hier, für mich, für alle", wusste der Trainer, dessen Probleme sich auftürmen, dass längst nicht mal mehr van Dijks Arm heranreicht, und die abgesehen vom Tor alle Mannschaftsteile erreicht haben.

Mohamed Salah kommt kaum noch zu Topchancen, lässt aber trotzdem seinen Hintermann, diesmal Jones, bei der Arbeit gegen den Ball immer wieder im Stich. Ryan Gravenberch und Alexis Mac Allister wirken ausgepowert und scheinen mit sich selbst zu kämpfen, hinten stehen Konaté und jetzt auch noch van Dijk neben sich. Joe Gomez, die einzige mögliche Alternative, ist nach einer erneuten Verletzungspause offenbar noch nicht fit für die Startelf, und sobald doch, wird er eigentlich gebraucht, um rechts hinten zu helfen. Alexander Isak ist weiterhin nicht auf der Höhe, musste am Mittwoch aber nach einer Stunde kommen, weil Hugo Ekitikés Rücken Probleme machte. Slot erklärte den mangelnden Zugriff zu Beginn der zweiten Hälfte auch damit.

Es sind nicht mal die Niederlagen, die Slot immer stärker in Bedrängnis bringen

Die Intensität, die Jürgen Klopp in Liverpools DNA verankert hat und Slot im Vorjahr meisterhaft weiterentwickelte, ist verschwunden, die geschlossene, aggressive Arbeit gegen den Ball zeigen nur noch die Gegner. Und das ist noch vor den ständigen Niederlagen das, was Slot immer stärker in Bedrängnis bringt.

Auf der Pressekonferenz musste sich der gefeierte, beim Ballon d'Or als Trainer des Jahres nominierte Niederländer Fragen stellen lassen, die eigentlich unglaublich sind: ob er die Diskussion um seine Zukunft fair finde ("Das ist nicht wichtig"); ob er sich um seinen Job sorge ("Nein"); und ob er die Unterstützung der Klubspitze spüre. "Ja", antwortete er, "aber nicht in dem Sinne, dass sie mir jede Minute sagen: Wir unterstützen dich, wir unterstützen dich, wir unterstützen dich. Sie müssen mir nicht den ganzen Tag sagen, dass sie mir vertrauen."

Liverpool ist wahrlich nicht dafür bekannt, auf der Trainerposition schnell zu handeln, und vielleicht dämmert den Bossen inzwischen auch, dass sie es Slot schwerer gemacht haben als sie - und auch die allermeisten Beobachter - dachten. War beim sündhaft teuren Versuch, den Kader aufs nächste Level zu heben, doch zu viel Managerspiel dabei? Zu viele Spieler, die zu viel Zeit benötigen, um Niveau (Milos Kerkez) und Liga (Florian Wirtz) kennenzulernen oder ihre Physis (Isak) zurückzugewinnen? Kam ein Stürmer zu viel und ein Innenverteidiger zu wenig? Wurden die Lücken, die Kämpfernatur Luis Diaz und Alleskönner Trent Alexander-Arnold rissen, unterschätzt? Und welche Auswirkungen Diogo Jotas Tod auf die Mannschaft wirklich hatte, vermag sowieso kein Außenstehender zu beurteilen.

Das Hausblatt schreibt bereits: "Arne Slot hat eine Woche, um seinen Job zu retten"

Andererseits wirkt Slot gerade nicht wie einer, der diese Krise schon bald beendet. Sein eisernes Festhalten an Spielstil und System führte bislang ebenso ins Verderben wie seine zu spät beendeten wilden Personalexperimente. "Arne Slot hat eine Woche, um seinen Job zu retten", kommentierte das gemeinhin Reds-freundliche Liverpool Echo kurz vor Mitternacht angesichts des bevorstehenden Premier-League-Dreierpacks gegen West Ham (A, Sonntag), Sunderland (H, Mittwoch) und Leeds (A, 6.12.). "Genug ist genug." Wie schnell, bitteschön, konnte es so weit kommen?

Vielleicht sollte es Slot so sehen: Wenn ihm schon Fragen wie bei einem Abstiegskandidaten gestellt werden und Spitzenspieler patzen, als hätten sie das Fußballspielen verlernt, ist es womöglich an der Zeit, sich anzupassen und vorerst die Energie nicht länger darauf zu verschwenden, krampfhaft dem dominanten Fußball eines Meisters hinterherzujagen. Erst mal eine erste Halbzeit ohne Gegentor schaffen, erst mal ein wenig tiefer stehen, erst mal wenigstens wieder Wut verspüren. Bevor der Klub eine radikale Maßnahme trifft, könnte ja auch er das tun.