Wie Vielfalt aussehen kann, zeigte in den vergangenen Tagen Berlin, das Gastgeber für das International Game der NFL zwischen den Indianapolis Colts und den Atlanta Falcons war. Als ich in diesen Tagen durch die Innenstadt lief, fühlte ich mich an die Fußball-WM 2006 bzw. die EM 2024 erinnert.
Die Hauptstadt im Zeichen des Sports
Es wurde ordentlich investiert: ein Mini-Football-Feld am Brandenburger Tor, eine Wide-Receiver- und Kicker-Challenge im Center am Potsdamer Platz, jede Menge Bars, die zur Home Base für Mannschaften wie die Chiefs, Packers, Seahawks oder Steelers wurden.
Ehemalige Spieler und die Gesichter der deutschsprachigen Football-Community luden zu Meet & Greets auf Fan-Events ein. Der NFL-Store platzte regelmäßig aus allen Nähten, und die Fans deckten sich mit NFL-Merch ein, egal, ob vom eigenen Team oder der eigens kreierten BVG-Football-Kollektion.
Berlin in neuem Glanz
"Guten Morgen Berlin, du kannst so hässlich sein, so dreckig und grau", sang einst Peter Fox, aber Berlin zeigte sich von seiner schönsten Seite. Denn der Höhepunkt war natürlich das Spiel am Sonntag. Auf dem Weg in die Innenstadt begegneten mir schon früh am Morgen jede Menge Menschen mit den unterschiedlichsten NFL-Trikots und jeder hatte ein Lächeln auf den Lippen. Es war egal, welches Team man supportet oder welche Sprache man spricht, man zog gemeinsam durch die Straßen auf dem Weg zum Olympiastadion. Menschen, die sich vorher noch nie gesehen hatten, kamen ins Gespräch, lachten und machten Fotos.
Die Touristen, die nicht wegen der NFL nach Berlin gekommen waren, mussten ihren Tourguide vermutlich zweimal fragen, ob das wirklich Berlin ist. Die Deutschen, die sonst immer so kühl und nüchtern daherkommen?! Oh ja, wir sorgten für Farbe an diesem grauen Herbsttag. Ausgestattet mit Fanschal, passend zum Spiel, und einem übergroßen Stoffzeigefinger zogen wir vom Brandenburger Tor über den Potsdamer Platz in die sehr gut gefüllte U-Bahn.
Ich unterhielt mich mit John und Mary, die aus Florida angereist waren, um die Falcons zu unterstützen. Was ihnen an Deutschland besonders gefällt: Wiener Schnitzel und Bier. Gut, immerhin eine Sache können wir für uns beanspruchen.
Eine würdige Show im Olympiastadion
Der Einlass am Osttor lief problemlos. Eine sehr unterhaltsame Mitarbeiterin, die auf einem Hochstuhl vor der Einlasskontrolle saß, sorgte neben amüsanten Sprüchen im Berliner Dialekt für Ordnung und Vorfreude. Ins Stadion selbst kam ich in wenigen Minuten, trotz des großen Andrangs. Das hätte ich mir bei dem ein oder anderen Hertha-Heimspiel auch mal gewünscht.
Anders sah es rund ums Stadion aus. Wer etwas essen, trinken oder nochmal in den Fanshop wollte, musste Zeit mitbringen. Genug zu entdecken gab es aber auch: Die Football-Helme aller 32 Teams, aufgeteilt in ihre Divisions, waren ein beliebter Fotospot.
Im Stadion machten sich derweil die Spieler warm, und während sich die Ränge nach und nach füllten und die TV-Übertragungen begannen, zeigte Berlin auch der Welt, dass es eine Show bieten kann. Zu Wind of Change beeindruckte eine 360°-Choreo aus Fahnen, und die Nationalhymnen der USA und Deutschlands wurden mit Feuerwerk begleitet.
Apropos Feuerwerk, das brannten auch die beiden Teams ab, die sofort mit Touchdowns im 1. Viertel die Fans zum Ausflippen brachten. Scooter, der mit seinem Lied Maria (I Like It Loud) schon die eine oder andere Fußballmannschaft als Torhymne versorgt hatte, tat das auch für Indianapolis und ließ es sich nicht nehmen, den Song beim ersten Touchdown live zu performen.
Ein Spiel, das alles hatte
Als die NFL verkündete, welche Teams das Berlin Game spielen würden, machte sich bei dem einen oder anderen Fan Skepsis breit, ob das Spiel nicht eher Richtung Langeweile gehen könnte. Aber wie unberechenbar diese NFL ist, zeigte sich an diesem Nachmittag: Fumbles, Touchdowns, verschossene und getroffene Field Goals, die erste Halbzeit flashte einen so sehr, dass der Half-Time-Act Kid Laroi fast ein wenig unterging mit seiner Performance.
Stimmgewaltig zeigte sich aber auch das Publikum in der zweiten Hälfte. Es gehört mittlerweile zur Tradition, dass Sweet Caroline und natürlich Country Roads lautstark mitgesungen werden. In der ersten Halbzeit war bereits Major Tom völlig losgelöst … typisch deutsch halt. Die Kampagne von Adidas zur EM 2024 traf hier den Nagel auf den Kopf und das ist gar nicht negativ gemeint, denn niemand kann schöner eine Laola präsentieren als wir Deutschen im ehrwürdigen Olympiastadion.
In dem nun auch Rekorde und damit mal wieder Geschichte geschrieben wurden: Vor 72.203 Fans (Zuschauerrekord für ein NFL-Spiel in Deutschland) rannte Jonathan Taylor alles in Grund und Boden und sorgte neben einem neuen Franchise-Rekord auch für die Overtime in diesem spannenden Spiel. Natürlich war er es auch, der dann die Colts zum Sieg führte. Zwei Falcons-Fans vor mir sanken enttäuscht zu Boden. Sie hatten bis zuletzt lautstark alles gegeben. Ich hingegen stand beseelt auf meinem Platz, sah zu, wie die Colts auf dem Platz feierten, und musste das Erlebte erst einmal selbst verarbeiten.
Football is Family
Die Kiss-Cam lief ein letztes Mal über den Monitor, und nachdem bereits während des Spiels T-Shirts und Chips auf die Ränge verteilt worden waren, kamen nun auch die Staff-Mitglieder der Atlanta Falcons und verteilten die Handtücher der NFL-Stars an die Fans. Ein kleiner Junge staubte zwei Handtücher ab und gab eins davon meiner Begleitung neben mir, er hatte ja bereits eins. Football is family, heißt es so schön. Ich lass das mal so stehen.
Der Großteil der 72.203 Fans zog es weiter in die Innenstadt - zu Fan-Events und den Public-Viewing-Bars. Wenn sie denn weggekommen sind, denn der Bahnhof am Olympiastadion war zunächst überfüllt. Nun kam ich schon selbst ins Zweifeln, ob das noch Berlin ist. Kein Gemecker, kein Gestöhne, die Menschen machten das Beste aus der Situation. Das Spiel wurde nochmal aufgearbeitet, und man freute sich schon auf 2027, wenn die NFL wieder Halt in Berlin macht.
Mich zog es zu einem Dönerladen. Ein NFL-Döner zum Abschluss dieser International Week, die mich wirklich beeindruckt hatte. Wir Deutschen können so bunt, so gastfreundlich, fröhlich, kreativ und zuvorkommend sein. I have a dream, dachte ich mir, als mir Emre den Döner in NFL-Optik reichte. Ich will, dass meine Kinder in einer Welt leben, in der das jeden Tag passiert.