Der Rahmen mag eines Weltmeisters vielleicht nicht würdig gewesen sein. Der Auftritt aber war es auch nicht. Vor nur 9512 Zuschauern im Josy Barthel zeigte die DFB-Elf am 31. Oktober 1990 in Luxemburg im Rahmen der EM-Qualifikation eine gruselige Leistung. Zumindest nach der Pause.
Das Auswärtsspiel beim damaligen "Fußball-Zwerg" erinnerte in den ersten 45 Minuten zunächst an den recht stabilen Auftritt drei Wochen zuvor, als der frisch gebackene Weltmeister ebenfalls zur Halbzeit mit 3:0 in Schweden führte. In Stockholm trafen Jürgen Klinsmann, Rudi Völler und Andreas Brehme, in Luxemburg ebenfalls Klinsmann und Völler sowie Uwe Bein.
Eine taktische Disziplinlosigkeit nach der anderen
Was sich aber nach dem Seitenwechsel in Luxemburg abspielte, sorgte selbst innerhalb der Mannschaft für Empörung. Die DFB-Auswahl leistete sich Nachlässigkeiten, Leichtsinnsfehler und eine taktische Disziplinlosigkeit nach der anderen. Binnen neun Minuten brachten Tore von Jean-Paul Girres und Robert Langers den großen Favoriten schwer ins Wanken.
"Plötzlich wollte fast jeder nur noch durch die Mitte den Weg zu weiteren Torerfolgen suchen", monierte Brehme: "Warum nur sind wir von der taktischen Marschroute abgewichen, weiter schnell und einfach über die Außenpositionen zu spielen?"
Völler, der heute als DFB-Sportdirektor den Weg mit nach Luxemburg antritt, sprach von einem "leichtsinnigen" Umgang mit der klaren Führung. "Fast hätten uns die Luxemburger auch noch den Sieg abgejagt, ehe sie sich mit dem 2:3 als einem großen Achtungserfolg zufriedengaben", bilanzierte er.
Vogts lobt Luxemburger für "das Spiel ihres Lebens"
Am deutlichsten wurde von den Spielern der Kapitän. Im 84. von insgesamt 150 A-Länderspielen gehörte Rekordnationalspieler Lothar Matthäus (kicker-Note 3) noch zu den besten Deutschen und kündigte eine mannschaftsinterne Manöverkritik an: "Nach dem 3:0 spielte bei uns 'Bruder Leichtfuß' mit. Bei unserem nächsten Zusammentreffen müssen die passenden Worte gefunden werden, damit so etwas nicht wieder passiert."
Nach Abpfiff schnappte sich der kicker den Bundestrainer für ein kurzes Interview. Und Berti Vogts nahm dabei kein Blatt vor den Mund. Auf die Eingangsfrage, warum es "fast eine Blamage" gegeben hätte, entgegnete dieser direkt: "Was heißt 'fast'. Es war eine Blamage, was wir in den letzten 40 Minuten boten. Wir verloren völlig unsere klare Linie und versäumten es, weiter konsequent über Außen zu spielen."
„Nicht jeder fand die nötige Einstellung zu einem Gegner, der als vermeintlicher Fußball-Zwerg gilt.“ (Berti Vogts)
Vogts zeigte sich "sehr enttäuscht über die Einstellung der Mannschaft nach dem 3:0. Was wir nach der 60. Minute in dieser Beziehung geboten haben, war eines Weltmeisters nicht würdig." Ohne einzelne Spieler an den Pranger stellen zu wollen, wählte er deutliche Worte: "Nicht jeder fand die nötige Einstellung zu einem Gegner, der als vermeintlicher Fußball-Zwerg gilt. Dies schlug sich in der individuellen Leistung nieder."
Den Luxemburgern, die "das Spiel ihres Lebens gemacht" hätten, sprach Vogts abschließend ein "großes Kompliment" aus. Von seinen Schützlingen brauchte an diesem Abend niemand darauf hoffen.
Die Reaktion darauf zumindest, sie gelang. Am 19. Dezember deklassierte der Weltmeister die Schweiz mit 4:0. Völler hatte nach weniger als 60 Sekunden die Führung besorgt - und Klinsmann per verschossenem Elfmeter sogar einen noch höheren Sieg liegen gelassen.