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Die Helden der "Schande von Istanbul" legten den Grundstein für die Schweizer WM-Serie

kicker

Wir erinnern uns zurück: Vor etwas mehr als 20 Jahren kam es im WM-Playoff 2005 für die Schweiz zum Duell mit der Türkei, wobei das Team vom damaligen Nati-Coach Köbi Kuhn das Hinspiel zu Hause mit 2:0 gewinnen und somit den Grundstein für die erfolgreiche Qualifikation legen konnte.

Das Rückspiel in Istanbul war dann eines, welches letztlich für immer in Erinnerung bleiben wird; aber dies nicht aus sportlicher Sicht. Die Nati kassierte in der Türkei die wohl "schönste" Niederlage der Schweizer Fussballgeschichte, reichte doch die 2:4-Pleite aufgrund der Auswärtstorregel, die es damals noch gab, aus, um sich für Deutschland zu qualifizieren.

Was sich jedoch nach Schlusspfiff abspielte, wird heutzutage als die "Schande von Istanbul" bezeichnet. Statt auf dem Platz feiern zu können, mussten die Schweizer Spieler schnurstracks in die Katakomben flüchten, nachdem türkische Anhänger sie mit Gegenständen beworfen hatten.

Im Kabinengang kam es dann zu Angriffen von Sicherheitskräften und türkischen Ersatzspielern auf Ersatzspieler der Schweizer Mannschaft. Nati-Verteidiger Stephane Grichting wurde gar in den Unterleib getreten und musste ins Krankenhaus eingeliefert werden, während Torwarttrainer Erich Burgener durch ein Wurfgeschoss am Auge verletzt wurde.

Auslöser für die Tumulte war übrigens der damalige türkische Co-Trainer Mehmed Özdilek, haben doch Fernsehbilder gezeigt, wie dieser versuchte, einem Schweizer das Bein zu stellen. Eine Tatsache, die sich Benjamin Huggel nicht gefallen liess und ihm als Racheakt gegen den Oberschenkel trat.

Im Anschluss an dieses Skandalspiel regnete es Sanktionen, wurde doch unter anderem Beni Huggel für gleich sechs Pflichtspiele gesperrt, weswegen die Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland ohne ihn über die Bühne gegangen ist. Die Türkei erhielt neben einer Geldstrafe auch eine Platzsperre und musste sechs "Heimspiele" ausserhalb des Landes austragen.

Es wurde alles unternommen, um es der Schweiz so unangenehm wie möglich zu machen

Einer, der die ganze Geschichte hautnah auf dem Platz miterlebt hat, ist Daniel Gygax. Der heutige U-21-Trainer des FC Thun, der dort hervorragende Arbeit leistet, war zu Gast im Podcast Storytime, wo er mit Host Damien Martin unter anderem die Geschehnisse in Istanbul aus seiner Perspektive geschildert hat.

Er habe einige türkische Freunde in seinem Umfeld, mit welchen er nach dem Hinspiel in Bern telefoniert habe. Diese hätten ihn bereits gewarnt, dass sich die Nati für die schwierige Auswärtsreise in die Türkei besser ganz warm anziehen solle.

„"Sie sagten mir damals, was in Bern passiert sei, ist nicht sehr cool, vor allem nicht für euch. Ich würde mich anschnallen. Was in den nächsten Tagen passieren wird, das wirst du nie mehr vergessen."“ (Daniel Gygax, Podcast Storytime, 28.11.25)

Demnach habe damals ein ganzes Land bzw. eine ganze Stadt alles dafür unternommen, auch abseits des Platzes, dass sich die Türkei letztlich für die WM 2006 qualifizieren werde. Als Beispiel nannte Gygax, dass zahlreiche Sporttaschen nicht im Hotel ankamen. "Du kannst dann nicht einmal trainieren, denn du hast keine Fussballschuhe und auch keine Turnschuhe. Nicht einmal dein Necessaire ist da, weil es einfach nicht kommt. Wir mussten dann im Hotel halt so, wie wir gereist sind, ein paar Gymnastikübungen machen." Ihr ganzes Gepäck sei dann erst mit reichlich Verspätung gekommen.

Auch die Wahl des Trainingsplatzes war entscheidend, ging es dabei in erster Linie darum, wo die Schweizer Spieler in Sicherheit sein konnten. Im Hotel mussten sogar sämtliche Telefone ausgesteckt werden über Nacht, "weil in der ersten Nacht die Hoteltelefone die ganze Zeit geklingelt haben." Die Fahrten zu den Trainings und letztlich zum Spiel waren ebenfalls alles andere als angenehm. Gygax spricht heute trotzdem von einem "geilen Erlebnis", da man all diesen Hürden trotzen und sich für die WM qualifizieren konnte.

"Was wäre passiert, wenn wir auf dem Feld geblieben wären?"

Wenn er sich heute noch mit Nati-Kollegen von damals treffe, falle gemäss Gygax immer der gleiche Satz. "Was wäre passiert, wenn wir auf dem Feld stehengeblieben wären?" Zur Erinnerung: Direkt nach Schlusspfiff rannten die Schweizer Spieler und Staffmitglieder in die Kabine, um sich in Schutz zu bringen.

Die ganze Partie sei "richtig aggressiv gewesen." Einerseits vom Publikum her, andererseits aber auch auf dem Platz. Gygax wiederholt deswegen die Frage: "Was wäre passiert, wenn wir auf dem Feld geblieben wären?"

Er betont nochmal, dass alles, was nach Spielschluss geschehen sei, alles andere als toll gewesen sei. "Wir mussten schätzungsweise vier Stunden in der Kabine ausharren und warten." Auf Nachfrage des Hosts, ob all diese Dinge der Schweizer Nati den Extraboost gegeben hätten, weil man es den Türken erst recht zeigen wollte, meinte Gygax.

"Wenn du mir zu jener Zeit eine Wand hingestellt hättest, hätte ich wohl mit der Faust durch sie hindurch geschlagen. Es war eine sehr elektrisierende Stimmung. Du musstest deinen Mitspieler in einem Meter Entfernung anschreien und nicht einmal dann hat er dich verstanden, weil es so unglaublich laut war." Weiter meinte er:

„Es waren 50'000 Fans im Stadion, doch es hat sich angefühlt wie 200'000.“ (Daniel Gygax, Podcast Storytime, 28.11.25)

Das begann bereits bei der Nationalhymne, habe man überhaupt nichts von der Musik gehört und man wusste deswegen auch nicht, wann sie überhaupt aufhörte. "Das kann man sich nicht vorstellen. Aber es hat etwas mit einem gemacht und im Hinblick auf die WM war das Gold wert."

Mit diesem Erfolg haben die Helden von damals letztlich den Grundstein dafür gelegt, dass die Schweiz zu einer von nur sechs europäischen Nationen wurde, die an den letzten sechs Weltmeisterschaften immer mit dabei gewesen sind. Dafür mussten Gygax und Co. zwar durch die türkische Hölle, die Schweizer Nati schwebt seither aber im Fussballhimmel.