Es gibt ja diese Spiele, die schon irgendwie wichtiger sind als andere. Die dir sagen, wo du stehst, wo du hingehörst, was in dieser Saison für dich möglich sein wird. Und was nicht. Standortbestimmungen hätten dies Reporter alter Schule genannt.
Die Frauen des FC Bayern hatten am Mittwochabend eine solche. In der Bundesliga sind sie auch in dieser Saison viel zu gut: Neun von zehn Partien haben sie gewonnen und sich bei 35:3 Toren nur ein 0:0 gegen Jena geleistet, was ihnen schon jetzt sechs Punkte Polster auf den VfL Wolfsburg eingebracht hat. Im DFB-Pokal wartet am Sonntag (14 Uhr, LIVE! bei kicker) ein leichtes Los in Ingolstadt.
Die Champions League aber, die ist ja das, wovon sie in München träumen. Und hier gab es erst ein desaströses 1:7 in Barcelona und dann ein ultraglückliches Last-minute-war-der-Ball-wirklich-drin-2:1 über Juventus Turin.
Nun kam am 3. Spieltag mit dem FC Arsenal der Titelverteidiger in die Arena. Und es stellte sich die große Frage: Sind die Bayern stark genug für die Top-Teams des Kontinents?
Nach dem 0:2 war es mit Körpersprache und -spannung dahin
Wäre dieser Text in der Halbzeitpause geschrieben worden, würde hier jetzt stehen: Nein, sind sie nicht. Schon nach fünf Minuten stand es 0:1, schon nach 23 Minuten 0:2, und Georgia Stanway hatte unten auf dem Feld spontane Erinnerungen an die Schmach von Barca. "Oh Gott, lass das nicht wieder passieren", dachte sie, wie sie später verriet. Viel zu leicht ging Arsenal in Führung, viel zu hoch war die Fehlerquote bei den Bayern, viel zu schnell war das Spiel für sie und viel zu arg der Druck vom Gegner in dieser Phase.
Nach dem ersten Tor noch versuchten sie, sich mit aufmunternden Gesten Mut zu machen, nach dem 0:2 war es auch mit Körpersprache und -spannung dahin. In dieser ersten Hälfte war es ein Rätsel, welche Münchner Spielerin eigentlich auf ihrer Position spitze in Europa sein soll. Giulia Gwinn rechts hinten, Stanway auf der Doppel-Sechs, Klara Bühl vorne links - aber sonst? Die Innenverteidigung mit Glodis Perla Viggosdottir und Stine Ballisager machte haarsträubende Fehler, in der Offensive rechtfertigten vor allem Jovana Damnjanovic, aber auch Linda Dallmann und die im Vorfeld vom kicker näher beleuchtete Lea Schüller in fast keiner Szene ihre Aufstellungen.
Sie diskutierten schon, bevor Barcala reinkam
Dieser Text erscheint ja aber erst heute und nicht nach 45, sondern nach 90 Minuten. Und nach diesen steht fest: Bayern kann in dieser Saison tatsächlich sehr viel erreichen.
Es muss eine fantastische, wundersame Halbzeitpause in der Kabine gewesen sein, auch wenn die Spielerinnen hinterher berichteten, dass sie sich natürlich nicht so anfühlte. Sie diskutierten schon miteinander, bevor Trainer José Barcala hereinkam, danach sprachen sie gemeinsam die Dinge an, die fehlten: Kontakt zum Gegner, Zweikampfstärke, Aggressivität, Mut, engere Abstände, nach vorn auch mal ein langer Ball, um die Kette zu überrollen. Auch Spielszenen wurden zur Analyse gezeigt.
Und dann geschah das kleine Wunder: Aus 0:2 machten die Bayern ein 3:2. Viel besser, viel entschlossener, viel wacher war ihre zweite Hälfte. Die Wechsel saßen. Das gesamte Team steigerte sich enorm und machte jetzt mit, und mit jeder Minute, in der das Heim-Team stärker wurde, spielte wiederum Arsenal urplötzlich defensiver, vorsichtiger, kraftloser. Der Lohn: Das 1:2 durch die eingewechselte Alara (nach Vorarbeit von Bühl), das 2:2 der ebenfalls hineingekommenen und tatsächlich europäische Spitze verkörpernden Pernille Harder (nach Vorarbeit von Bühl) und dann sogar das 3:2 der mutig aufgerückten Viggosdottir (nach Vorarbeit von Bühl).
Bühls zweite Hälfte war nicht weniger als Weltklasse
Bayern hatte etwas Großes geschafft, das alle Träume leben lässt. "Wir haben Charakter gezeigt", sagte Linksverteidigerin Franziska Kett, und genau diesen lobte auch Stanway gleich dreimal, denn: "Wir waren nicht zum ersten Mal hinten und sind zurückgekommen. Wir haben gezeigt, wer wir sind."
Bühl, deren zweite Hälfte nicht weniger als Weltklasse war, stand mit einem breiten Grinsen in der Mixed Zone und erklärte: "Irgendwie ist es noch ein bisschen unreal. Die erste Halbzeit war gar nicht unser Spiel, wir waren sehr träge und haben viele kleine Fehler gemacht. Es war tough, da in der Halbzeit zu sitzen, aber wir haben die Sachen kritisch angesprochen und die richtigen Schlüsse gezogen." Und dann Arsenal geschlagen. Und gezeigt, dass alles möglich ist? "So ein Sieg tut extrem gut, auch für unser Selbstbewusstsein", merkte sie stolz an, "wir können auf dem Niveau definitiv mithalten und mitspielen. Das kann uns Mut geben."
Wirklich lukrativ dürfte der Arena-Umzug diesmal nicht gewesen sein
Alles wunderbar also in der Arena vor diesmal 15.407 Zuschauern. Das waren deutlich weniger als beim ersten Besuch im großen Stadion zum Bundesliga-Auftakt gegen Leverkusen, wo noch 57.762 Fans gekommen waren. Aber es waren sechsmal mehr, als dabei gewesen wären, wenn das Spiel am Bayern-Campus stattgefunden hätte.
Der Verein hatte diesmal ein anderes Konzept gefahren, nur den Unterrang geöffnet, im Mittelrang saßen lediglich die etwa 300 Arsenal-Fans. Das sollte beispielsweise Ordnungspersonal und damit Kosten sparen. Wirklich lukrativ dürfte der Arena-Umzug diesmal nicht gewesen sein, aber zum einen hatte das Leverkusen-Spiel ein dickes finanzielles Plus abgeworfen und zum anderen sind über 15.000 Fans im Fußball der Frauen immer noch etwas Besonderes.
"Das Publikum war unfassbar laut, das hat uns durchs Spiel getragen und echt gutgetan", sagte Kett. "Die Fans geben uns Energie", merkte Bühl an. Stanway wiederum schob die schwache erste Hälfte schon auch aufs Stadion: "Das passiert uns hier öfter, weil es für uns nicht normal ist, hier zu sein. Wir müssen es als etwas Gewöhnliches verstehen, um uns wohler zu fühlen."
Es werden bestimmt weitere Gelegenheiten kommen, damit auch das klappt. Für den Moment zählt erst mal nur das gute Gefühl, vielleicht ja doch Europas Thron besteigen zu können. Nach einem fantastischen Abend.