Es war die große Chance für die Stuttgarter Kickers, sich so richtig im Aufstiegsrennen zurückzumelden. Entsprechend groß war der Frust nach dem letzten Spiel der Hinrunde. Erkennbar unter anderem an Mittelfeldspieler David Tomic, der seine Trinkflasche nach dem Abpfiff wütend auf den Boden donnerte. Zuvor hatten er und seine Kollegen, trotz rund 40-minütiger Überzahl, beim Tabellenzweiten SG Sonnenhof Großaspach eine 1:3-Niederlage kassiert. "Ich kann mir das nicht erklären, aber nach dem Platzverweis haben wir einfach ein schlechteres Gesicht gezeigt als vorher", ärgerte sich auch Linksverteidiger Mario Borac. Und Per Lockl resümierte: "Gefühlt wäre es besser gewesen, wenn sie zu elft weitergespielt hätten. So muss Großaspach nichts mehr machen, stellt sich hinten rein, und für uns war es schwer, den Block zu bespielen. Da waren wir insgesamt zu langsam, zu träge und nicht zwingend genug."
Mit einem Sieg im Schwabenduell wären die Degerlocher am Dorfklub vorbeigezogen und in die Spitzengruppe der Regionalliga Südwest vorgestoßen. So steckt man mit Platz 11 tabellarisch weiter im Mittelfeld fest. Statt drei Punkten Rückstand auf den Tabellenführer SGV Freiberg sind es sechs. "Wir haben viel Luft nach oben. Es war eine Hinrunde, in der wir schon einige gute Spiele gemacht haben, aber auch weniger gute, wo wir in einzelnen Spielphasen nicht so stark waren. Mit einem Sieg heute hätte man ein deutlich positiveres Fazit ziehen können", bilanziert SVK-Cheftrainer Marco Wildersinn zur Saison-Halbzeit und fasst damit das Auf und Ab der Kickers-Hinrunde und das Spiel in Großaspach gleichermaßen zusammen.
Durchschlagskraft und Kreativität fehlten
Phasenweise, vor allem rund um den kuriosen 1:1-Ausgleich durch Flamur Berisha, der von Großaspachs Antonis Aidonis nach einem kurz ausgeführten Abstoß angeschossen wurde und so den Ball ins Tor lenkte, zeigten die Stuttgarter ein ansehnliches Spiel nach vorne und hatten durch Marlon Faß eine große Möglichkeit zur Führung. Dagegen fehlten in Überzahl nach der Gelb-Roten Karte gegen Mert Tasdelen Durchschlagskraft und Kreativität, wodurch man sich mit einem Mann mehr im zweiten Durchgang keine klare Torchance erspielen konnte.
Effektivität zeigte dagegen die SGS, die einen der wenigen Entlastungsangriffe zum entscheidenden 3:1 verwertete, nachdem sie in der ersten Hälfte zwei Fehler von Kickers-Torwart Leon Neaimé zu Treffern genutzt hatte. "Heute hat die männlichere, robustere, cleverere, nach vorne immer gefährlichere Mannschaft gewonnen. Aber das war nicht unbedingt notwendig, deshalb haben wir uns die Niederlage selbst zuzuschreiben", analysierte Wildersinn.
Besonders bitter für Eigengewächs Neaimé (21), der nach dem 10. Spieltag und einigen unsicheren Auftritten von Bela Dumrath den Platz zwischen den Pfosten übernommen und dort in den vergangenen Wochen - gemeinsam mit dem "Kinder-Riegel" (Kickers-Sport-Geschäftsführer Lutz Siebrecht) in der Abwehrreihe vor ihm bestehend aus Mario Borac (19), Jacob Danquah (20), Milan Petrovic (22) und David Udogu (22) - wieder für mehr Stabilität gesorgt hatte. Doch solche Fehler sollten eingepreist werden in einer Verjüngungskur, die sich die Kickers verschrieben haben und Wildersinn auch nach dem Spiel in Großaspach - wo Tomic mit 27 Jahren der älteste Akteur in der Stuttgarter Startelf war - hervorhob: "Wir haben eine Mannschaft, die in der Entwicklung steckt, die sich schon entwickelt hat, aber auch noch weiterentwickeln muss."
"Riesenkompliment an unsere Fans"
Das gilt auch für die Offensive. Zwar zeigte der 19-jährige Mittelstürmer Faß mit inzwischen fünf Saisontoren eine aufsteigende Form, schaffte es gegen tief stehende Großaspacher aber auch nicht, für gefährliche Aktionen zu sorgen; genauso wie Samuel Unsöld (20), der nach seiner Einwechslung gemeinsam mit Faß als Doppelspitze agierte und noch auf seinen ersten Treffer im Kickers-Trikot wartet. Anders als beim 2:1-Sieg gegen den FC-Astoria Walldorf in der Woche zuvor, als die Blauen nach einem Dreifach-Wechsel das Spiel drehten, blieben die Impulse von der Bank dieses Mal aus. "Ich möchte mich im Namen der gesamten Mannschaft bei den Fans entschuldigen, dass wir es nicht geschafft haben eine zweite Halbzeit wie letzte Woche zu zeigen. Wir haben es versucht und vielleicht die falschen Mittel gewählt. Aber Riesenkompliment an unsere Fans. Es ist unfassbar, was sie abliefern, egal wie es bei uns läuft", sagt Christian Mauersberger, der wie Unsöld und Melkamu Frauendorf als Joker blass blieb.
Ob die inzwischen schon eklatante Auswärtsschwäche auch mit fehlender Erfahrung zu begründen ist, bleibt offen. Nur neun Punkte und sieben Toren gelangen den Blauen in neun Spielen auf fremden Plätzen. "Wenn wir wüssten, was auswärts unser Problem ist, wäre uns auf jeden Fall geholfen. Wir sind mega unzufrieden, was wir auswärts abliefern. Das ist zu wenig, um in der Liga oben reinzurutschen. Wir sind eine junge Mannschaft und brauchen mehr Konstanz. Wir wollen uns weiterentwickeln als Team. Dazu gehört auch auswärts zu bestehen. Da liegt viel Arbeit vor uns", sagt Mauersberger.
Weiter optimistisch
Auch wenn sich ein etwas grauer Herbstblues auf der Waldau niederzulassen droht, ist längst nicht alles schlecht. "Man sieht immer wieder, was mit der Truppe möglich ist, aber auch das Klassische, was man vom Jugendfußball kennt, diese Inkonstanz. Dass du es nicht schaffst, gewisse Spiele zu ziehen. Aber ich finde, dass es Mut macht. Man sieht, wie eng die Liga ist und was da möglich ist, wenn man mal konstant ist", bleibt Lockl optimistisch.
Beginnend mit dem Heimspiel gegen die SG Barockstadt Fulda-Lehnerz zum Rückrundenauftakt am kommenden Samstag (14 Uhr) stehen noch drei Spiele bis zur Winterpause an. "Die wollen wir nochmal nutzen, um Leistung zu bringen, Punkte zu holen und mit großer Energie ins neue Jahr zu starten. Wir haben viel Arbeit hinter uns, aber noch viel Arbeit vor uns", sagt Wildersinn. Und Lockl ergänzt: "Insgesamt macht es Spaß mit der Truppe. Wir können uns in vielen Punkten steigern, aber ich glaube, man sieht oft genug, was wir draufhaben und wie viel Potenzial in der Truppe steckt."
Jetzt liegt es an ihm und seinen Kollegen, dieses Potenzial konstanter auf den Platz zu bringen. Dann bleibt die Chance für die Stuttgarter Kickers bestehen, doch noch ins Aufstiegsrennen einzugreifen.