Bis zur 75. Minute dieses Champions-League-Mittwochs war aus Sicht von Borussia Dortmund die Welt noch in Ordnung. Zwar drückte die Verletzung von Waldemar Anton aus der ersten Hälfte der Partie gegen FK Bodö/Glimt aus Norwegen leicht aufs Gemüt. Auch kräuselten sich aufgrund der Behandlung von Aaron Anselmino am Spielfeldrand kleinere Sorgenfalten auf der Stirn. Die 2:1-Führung zu diesem Zeitpunkt bedeutete aber eine exzellente Ausgangssituation vor den abschließenden beiden Liga-Spielen bei Tottenham (20. Januar 2026) und gegen Inter Mailand (28. Januar 2026). Mit zu diesem Zeitpunkt 13 Punkten lag der BVB in den Top-8, ein weiterer Sieg hätte zum sicheren Einzug ins Achtelfinale gereicht. Doch: Hätte, hätte, Fehlerkette …
Schmerzhafte Fehlerkette vor dem späten Ausgleich
Denn weil die Dortmunder in Unterzahl - Anselmino wurde erst länger behandelt, ehe er kurz darauf ausgewechselt werden musste -, den Ball durch Serhou Guirassy vertändelten, dann in Person von Yan Couto und Felix Nmecha ihren Gegenspielern vergeblich hinterherrannten, durch Daniel Svensson den Ball schließlich in die Mitte vor die Füße eines Norwegers grätschten und deshalb durch Jens Petter Hauge den Ausgleich kassierten, war die gute Ausgangslage erst einmal dahin. Und weil der BVB in der finalen Viertelstunde offensiv nicht mehr stattfand, stattdessen die Gäste in der Nachspielzeit sogar die ballsichere Mannschaft waren, kam sie auch nicht mehr zurück. Noch ist eine Direktqualifikation fürs Achtelfinale zwar möglich, wesentlich wahrscheinlicher aber ist es, dass der BVB erneut den Umweg über die Play-offs gehen muss.
Wie groß der Frust darüber war bei den Schwarz-Gelben aus Dortmund, war an den ersten Reaktionen zu hören: Vor allem Nico Schlotterbeck schimpfte sich bei DAZN den Ärger von der Seele, kritisierte die technischen Unsauberkeiten seiner Mannschaft, den zu schwachen Killerinstinkt - und die Leistung der Einwechselspieler, ohne sie namentlich zu erwähnen. "Wenn man reinkommt in der 60. Minute, erwarte ich 30 Minuten Volldampf", sagte der Innenverteidiger, der beim 1:1 wie auch Ramy Bensebaini die Zuordnung zum Torschützen Haitam Aleesami verloren hatte.
Der Vorwurf dürfte sich in erster Linie gegen den beim 2:2 involvierten Guirassy und Karim Adeyemi gerichtet haben, die beide in der 67. Minute für den auffälligen Fabio Silva und den engagierten Maximilian Beier ins Spiel gekommen waren, aber keine Impulse gaben - auch nicht in der finalen Viertelstunde, als der BVB diese dringend gebraucht hätte. Schlotterbeck war binnen weniger Tage bereits der zweite Führungsspieler, der sich kritisch über die eigene Mannschaft bzw. das eigene Spiel äußerte, nachdem zuvor bereits Julian Brandt - diesmal Doppeltorschütze - nach dem 2:0-Sieg über Hoffenheim Verbesserungen im spielerischen Bereich gefordert hatte. Es sind Indizien dafür, dass der eigene Anspruch wieder deutlich gestiegen ist und trotz der überwiegend guten Ergebnisse auch intern erkannt wird, dass im eigenen Spiel noch reichlich Luft nach oben ist.
Kehl: "Jeder Spieler hat das Recht, einen kritischen Ton anzuschlagen"
"Jeder Spieler hat das Recht, nach so einem Spiel einen kritischen Ton anzuschlagen. Vor allem, wenn sie den Finger in die Wunde legen und selbst hart mit sich ins Gericht gehen", sagte Sportdirektor Sebastian Kehl später in der zugigen Mixed Zone des Dortmunder Stadions, wo sich zunächst lange niemand von der Borussia gezeigt hatte. Nach den verpflichtenden TV-Interviews stand zunächst eine interne Aufarbeitung durch Trainer Niko Kovac auf dem Programm - das mit Wellness diesmal nichts zu tun hatte. "Der Trainer hat das Spiel eingeordnet. Das hat er, wie ich finde, richtig gut getan", schob Kehl hinterher, und erklärte auf Nachfrage, ob die Worte des 54-Jährigen deutlich gewesen waren: "Nach dem 2:2 und dem Unmut, den wir alle spüren, ist das angebracht gewesen." Zudem kritisierte auch Kehl die Leistung der Dortmunder als "überheblich" und wurde dabei von Mittelfeldspieler Felix Nmecha unterstützt, der in seinen Ausführungen das wenig schmeichelhafte Adjektiv "arrogant" unterbrachte.
Währenddessen wurde drei Stockwerke höher im Pressekonferenzraum Kovac auch in aller Öffentlichkeit und vor laufenden Kameras noch einmal deutlich: "Das geht mir richtig auf den Zeiger. Das darf nicht passieren", schimpfte er und meinte damit die Situation vor dem 2:2, als der BVB in Unterzahl einen eigenen Einwurf vertändelte. Er sei "verärgert", sogar "komplett verärgert", sagte er - und verwies darauf, nicht umsonst immer defensive Stabilität einzufordern: "Das Spiel hat gezeigt, dass wir nicht gewinnen können, wenn wir mehr als ein Tor kassieren." Wie gegen den FC Bayern (1:2), Manchester City (1:4) und Stuttgart (3:3).
Anton und Anselmino verlassen humpelnd das Stadion
Am Sonntag hat der BVB beim SC Freiburg die Möglichkeit, den schief hängenden Haussegen wieder in seiner Ausrichtung zu korrigieren. Dort allerdings wird er mit hoher Wahrscheinlichkeit auf die beiden Innenverteidiger Anton und Anselmino verzichten müssen. Die finalen Diagnosen werden zwar erst im Laufe des Donnerstags erwartet, die ersten Eindrücke aber verhießen nichts Gutes. Anton hatte sich bei seiner frühen Auswechslung an den hinteren Oberschenkel gefasst (33.) und humpelte nach dem Spiel zum Auto, ähnlich sah das Bild bei Anselmino aus, der sich bei einem Klärungsversuch im Fuß-/Knöchelbereich verletzt hatte und anschließend ebenfalls nur humpelnd vorwärtskam.
Immerhin: In Niklas Süle, Emre Can und Ramy Bensebaini stehen Kovac noch genug Verteidiger für die beiden Positionen an der Seite von Schlotterbeck zur Verfügung. Schmerzhaft wäre der Ausfall der bislang äußerst souveränen und stabilen Verteidiger dennoch - so wie dieses völlig unnötige und deshalb umso frustrierendere 2:2 gegen Bodö/Glimt.