Dank eines frühen Doppelpacks von 74er Weltmeister Bernd Hölzenbein setzte sich die Eintracht am 22. Oktober 1975 schon im Hinspiel in Madrid mit 2:1 durch. Der kicker schrieb von "verblüffender Kaltblütigkeit", nachdem "Holz" bereits in der 6. und der 15. Minute getroffen hatte.
Atletico-Verteidiger José Louis Capon gelang zwar noch der Anschlusstreffer, doch die Eintracht rettete den Sieg über die Zeit. Dabei gingen die Madrilenen nicht zimperlich vor. Im kicker stand am nächsten Tag: "Die Platzherren witterten ihre Chancen und gingen teilweise mit brutalen Fouls ihre Gegenspieler an."
"Da kannst du dein Meisterstück machen"
Obwohl seine große Stunde erst im Rückspiel schlug, kann sich der frühere Eintracht-Profi Peter Reichel an den Auftritt im berühmten Estadio Vicente Calderon gut erinnern. "Schon das Hinspiel in Madrid lief sensationell für uns. Ich spielte gegen den argentinischen Nationalspieler Ruben Ayala. Trainer Dietrich Weise sagte zu mir: 'Da kannst du dein Meisterstück machen.' Atletico hatte uns unterschätzt, wir spielten befreit auf. Ich gab die Vorlage zum 1:0 und habe Ayala so bearbeitet, dass er nach dem Spiel sicherlich wusste, wie ich heiße", erzählte Reichel vor gut einem Jahr im kicker-Interview.
Rund um das Rückspiel im Waldstadion erlebte der heute 73-Jährige eine Geschichte, die im modernen Profifußball undenkbar wäre. Reichel hielt damals nicht nur auf dem Platz die Knochen hin, als Lehramtsstudent schulte er auch sein Köpfchen. Bei seinem Wechsel zur Eintracht 1970 schrieb er sich parallel an der Uni ein.
"Die jungen Leute würden heute sagen, dass das gar nicht geht. Vorlesung, Training, Vorlesung, Training. Das war mein Tagesablauf. Abends um neun Uhr war Ende Gelände. 1974 machte ich mein erstes Staatsexamen und ging für mein Referendariat in den Schuldienst", blickt der frühere Rechtsverteidiger zurück. Pro Woche musste er in den Fächern Mathe und Sport zwölf Stunden unterrichten. Der Rektor gestaltete seinen Stundenplan so, dass es zeitlich funktionierte.
"Kein Wort zur Presse"
Doch das Europapokal-Heimspiel gegen Atletico sorgte für ein Problem. "Vor dem Rückspiel ging ich zu Weise und erklärte ihm, dass ich nicht mitspielen kann. Das ganze Seminar kam am Spieltag zum Unterrichtsbesuch, um mir zuzusehen. Das ließ sich nicht verlegen", schildert Reichel das Dilemma. Doch Trainer Weise gab nicht so schnell auf.
Reichel erzählt: "Er überlegte einige Minuten und meinte dann, dass ich morgens in die Schule gehen soll. Am Abend vor dem Spiel waren wir wie immer in einem Hotel in Neu-Isenburg. Von dort fuhr ich in die Schule, musste zum Mittagstisch aber wieder zurück sein. Weise schärfte mir ein: Kein Wort zur Presse. Denn wenn das herauskäme, würde es für mich unangenehm werden, vor allem bei einem möglichen Ausscheiden. Keinem fiel auf, dass ich zwischendurch nicht da war."
Frankfurt gewann 1:0. Reichel beschreibt die Schlüsselszene: "Ich machte das Tor in der 88. Minute. Daran erinnere ich mich noch ganz genau, so viele Tore habe ich in meiner Karriere ja nicht erzielt. Als ich sah, dass Hölzenbein zur Grundlinie läuft, rannte ich im Vollsprint in den Sechzehner. Als die Flanke kam, war mir klar, dass ich den Ball reinmache. Das war eine solche Befreiung für mich." Trotzdem ging er am nächsten Tag wieder pflichtbewusst in die Schule zum Unterricht.
Die Eintracht schied erst im Halbfinale des Europapokals der Pokalsieger gegen West Ham United (2:1; 1:3) aus. Das Rückspiel in London bot einige legendäre Geschichten.
Doch zurück zu Reichel: Der Atletico-Bezwinger beendete drei Jahre später mit nur 26 Jahren seine Karriere. Nicht verletzungsbedingt, sondern freiwillig: "Nach einer großen Unterbrechung hätte ich nicht problemlos in den Schuldienst wechseln können. Die warteten schließlich nicht auf mich. 1976 hatte ich mein zweites Staatsexamen absolviert. Danach musste ich noch warten, weil es zunächst einen Einstellungsstopp gab. 1978 fing ich dann als Lehrer an, den Schuldienst habe ich 38 Jahre durchgehalten."
Wenn die Eintracht am Dienstagabend im Estadio Metropolitano aufläuft, wird der zweifache A-Nationalspieler Reichel auf der Tribüne mitfiebern. Auf der Eintracht-Homepage sagt er: "Ich freue mich unglaublich auf diese Reise, weil ich mit Atletico natürlich ganz besondere Erfahrungen gemacht habe."
Atletico zu Hause eine Macht
Für deutsche Klubs hingen die Früchte im Metropolitano zuletzt allerdings hoch. In den jüngsten 15 Heimspielen gegen deutsche Mannschaften kassierte Atletico keine einzige Niederlage (elf Siege, vier Remis). Zuletzt gab es drei 2:1-Siege hintereinander gegen Dortmund, Leipzig und Leverkusen. Auch sonst sind die Madrilenen in der Champions League zu Hause eine Macht, gewannen neun der letzten zehn Heimspiele in der Königsklasse.
Die Eintracht wiederum weist ihrerseits eine beeindruckende Bilanz gegen spanische Teams in Europapokal-Wettbewerben auf: In den jüngsten zehn Duellen kassierten die Hessen keine Niederlage (sechs Siege, vier Remis). Lediglich die ersten beiden Partien endeten mit Niederlagen: 1960 verlor die Eintracht das "Jahrhundertspiel" im Landesmeister-Finale gegen Real Madrid (3:7); im Achtelfinale des Messepokals 1968/69 unterlag die SGE Athletic Bilbao im Baskenland mit 0:1. Außerdem kassierte Frankfurt im UEFA-Supercup 2022 eine 0:2-Niederlage gegen Real Madrid.