Eins steht fest: Die NFL ist in dieser Saison so offen wie lange nicht. Teams, die in den vergangenen Jahren das Anrecht auf den Super Bowl gepachtet hatten, sind 2025 schlagbar und damit angreifbar wie lange nicht. Dem gegenüber schreiten gleich mehrere Teams, die vor Saisonstart kaum jemand auf der Rechnung hatte, aus dem Schatten ins Licht. Inzwischen heben sie sogar die Hand, um Ansprüche auf das Endspiel in Santa Clara anzumelden. In der Folge ist der Contender-Kreis größer denn je. Und mitten drinnen die Seattle Seahawks. Aktuell bei einer 9-3-Bilanz stehend, sind die Seahawks definitiv eine der spannendsten Geschichten in diesem Jahr. Umso spannender wird diese, wenn man sich anschaut, wie die Offseason in Seattle gelaufen ist - und was möglicherweise eigentlich der Plan war.
2025: Ursprünglich ein geplanter Rückschritt?
Springen wir zurück in die vergangene Saison: Aufgrund eines Tiebreakers in der NFC West (dem Strength of Schedule) verpassten die Seahawks - trotz einer Bilanz von 10-7 - die Postseason und verabschiedeten sich frühzeitig in die Sommerpause. Die Los Angeles Rams zogen stattdessen als Divisionsieger in die Endrunde ein. Trotz eines ernüchternden Records bei Heimspielen zeigte das Team in der ersten Saison nach der Pete-Carroll-Ära guten Football. Neu-Cheftrainer Mike McDonald bekam Zeit, seine Spielphilosophie zu etablieren, was nachhaltig Früchte trug.
Dennoch war klar: Die berüchtigte Glasdecke, das Maximum, was mit diesem Roster möglich war, schien erreicht. Was folgte, war ein radikaler Kahlschlag: Quarterback Geno Smith wurde via Trade nach Las Vegas geschifft, Wide Receiver DK Metcalf gen Pittsburgh verfrachtet und Langzeit-Seahawk Tyler Lockett sogar entlassen. Auf den ersten Blick war das Team mehr als geschwächt, doch schien man die Erkenntnis gewonnen zu haben, dass es manchmal einen Schritt zurück braucht, um dann - in ein, zwei Jahren - mehrere Schritte nach vorne gehen zu können.
War zu erwarten, dass diese Schritte bereits in dieser Saison gegangen werden? Wahrscheinlich nicht. Vielleicht nicht mal seitens der Seahawks selbst. Verpflichtungen wie ein in die Jahre gekommener Cooper Kupp, welcher in Los Angeles keine Perspektive mehr hatte, oder Sam Darnold, der seinen Starter-Platz in Minnesota hatte räumen müssen, sprachen zwar nicht für einen offensichtlichen Rebuild, aber noch weniger für einen Angriff auf die Spitze der Liga. Doch genau zu diesem Angriff hat Seattle geblasen - und die Konkurrenz tut gut daran, diese Drohgeräusche ernstzunehmen.
"Zwei Spiele bestimmen nicht, wer ich bin"
Lässt man Mike Macdonald, der einen großen Verdienst an der diesjährigen Performance hat, außen vor, steht besonders ein Spieler an vorderster Front des Angriffs: Sam Darnold. Die NFL-Geschichte des 28-Jährigen hat in den acht Jahren, die sie dauert, schon mehrere Kapitel geschrieben. Nur wenige davon waren positiv. Nach einem denkbar schlechten Start bei den New York Jets folgte ein ebenso erfolgloser Stint bei den Carolina Panthers. Bei den San Francisco 49ers war Darnold dann nur noch Ersatzmann. Eine Rolle, die er eigentlich auch in Minnesota einnehmen sollte, aber die Verletzung von Rookie-Quarterback J.J. McCarthy brachte Darnold zurück aufs Feld - und ins Rampenlicht. Unter Head Coach Kevin O'Connell führte der 28-Jährige die Vikings zu 14 Siegen und in die Playoffs. Die Renaissance war geschafft. So schien es jedenfalls.
Denn ausgerechnet in Woche 18, dem Spiel gegen die Detroit Lions, das über den Sieg der NFC North bestimmte, und im Playoff-Spiel gegen die Rams, zeigte Darnold seine schlechtesten Saisonleistungen. Die Vikings schieden aus und sahen sich in ihrer Annahme bestätigt: Darnold war gut, aber nicht gut genug, um ein Team tief in die Playoffs zu führen. McCarthy bekam vorzeitig die Starter-Position zugesprochen, Darnold musste Minnesota verlassen - 14 Siege hin oder her. Seither trug er die beiden Niederlagen wie eine Narbe mit sich, die seine Fähigkeiten definierte. Nur für ein Team nicht, die Seahawks.
In Seattle ließ man sich nicht von den zwei schlechten Spielen blenden. "Alle haben über die beiden letzten Spiele gesprochen", so Mike Macdonald, "aber keiner hat über die vielen Auftritte davor geredet, in denen Sam überragend gespielt hat." In Washington war und ist man überzeugt, dass man mit diesem Sam Darnold, der über weite Teile der Saison 2024 brilliert hatte, weit kommen kann.
Klare Spielidee schlägt Superstar-Kader
Was der Erfolg der Seahawks eindrucksvoll demonstriert: Wer eine klare Spielidee und einen gut zusammengestellten Roster hat, braucht keine großen Namen und Superstars. Eine These, die auch durch das Abschneiden von Teams wie den Indianapolis Colts oder New England Patriots gestützt wird. Selbstredend helfen Spieler wie Devon Witherspoon, Rookie Nick Emmanwori in der Defense oder Wide Receiver Jaxon Smith-Njigba, der in dieser Saison Anspruch auf den Titel des besten Passempfängers der NFL erheben darf. Über ihnen steht jedoch eine Philosophie, die losgelöst von individuellem Talent funktioniert.
Aus jenen Gründen zählt Seattle in diesem Jahr zu den besten Teams; nicht bloß in der NFC West oder der NFC, sondern der gesamten Liga. Klar, den Beweis, dass ein vergleichsweise unerfahrener Cheftrainer in den Playoffs die richtigen Anpassungen vornehmen kann, oder dass die angesprochenen Protagonisten auch in der Postseason abliefern, ist dieses Seahawks-Team noch schuldig. Es wäre jedoch unfair, sie aufgrund von etwas, das sie noch nicht beweisen konnten, schlechter zu bewerten. Denn klar ist auch, vor der "what have you done for me lately?"-Einstellung sind auch die Powerhouses der letzten Jahre nicht sicher - ganz gleich, ob sie Kansas City oder sonstwie heißen. Und in dieser Saison sind die Seattle Seahawks jenen Powerhouses mindestens ebenbürtig.
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