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Boxen

AJ-Sparringspartner Viktor Jurk im Interview: "Auch da kommen die Hände durch - und Anthony Joshuas Schläge tun richtig weh"

AJ-Sparringspartner Viktor Jurk im Interview: "Auch da kommen die Hände durch - und Anthony Joshuas Schläge tun richtig weh"Viktor Jurk
Der deutsche Schwergewichtler Viktor Jurk hat Box-Weltmeister Anthony Joshua zehn Wochen lang als Sparringspartner im Trainingscamp begleitet. Vor AJs Pflichtverteidigung gegen Oleksandr Usyk spricht Jurk über die Bodenständigkeit des Champions, Duelle im Schach und wie der deutsche Boxsport aus der Versenkung geholt werden kann.

INTERVIEW

Am Samstagabend steht der Kampf zwischen Titelverteidiger Anthony Joshua und seinem Herausforderer Oleksandr Usyk an. Mitten in der Vorbereitung auf den Fight des Jahres mit dabei: Viktor Jurk. Der 21-Jährige war in der Vorbereitung als Sparringspartner für AJ im Ring.

Im exklusiven Interview mit DAZN News verrät Jurk, wie die Zusammenarbeit zustande kam, warum es ein Glücksfall war, dass er Rechtsausleger ist und wie das Boxen in Deutschland wieder prominenter werden könnte. Außerdem gibt er Einblicke in das Training, die Stärken von Joshua und wagt eine Prognose für den Kampf am Samstag.

Viktor Jurk, was geht einem durch den Kopf, wenn man einem Superstar wie Anthony Joshua das erste Mal gegenübersteht?

Jurk: Ich hatte kurz Atemprobleme (lacht). Ich konnte es nicht fassen. Ich habe Joshua mit zwölf Jahren 2012 in London bei den Olympischen Spielen gesehen. Und neun Jahre später hatte ich die Möglichkeit, mit ihm zusammen zu trainieren. Das war die größte Geschichte, die ich bisher erreicht habe. Ich bin ein großer AJ-Fan, hab alle seine Kämpfe gesehen, weiß wie er boxt, wie er ist.

Wie hast Du reagiert, als ihr das erste Mal zusammen im Ring standet?

Jurk: Ich hatte sehr großen Respekt und viel Euphorie. Aber das ganze Team riet mir, das beim Sparring zu vergessen, ich solle rausgehen und mein Ding machen. Respekt ja, bloß keine Angst haben. Auch mein Trainer (Christian Morales, Anm.) und mein Manager (Bernd Bönte, Anm.) sagten mir, ich solle einfach so boxen, wie ich immer boxe, von mir selbst überzeugt sein, mich offen und ehrlich zeigen. Anders funktioniert es nicht. Wenn ich Angst vor AJ habe, kann ich ihn im Ring nicht fordern und pushen. Das bringt weder ihm noch mir etwas.

Also haben die Knie nicht gezittert?

Jurk: Nein, nein. Ich habe schon viel Sparring gemacht. Als ich mich zum Beispiel mit der Nationalmannschaft auf die Europameisterschaft vorbereitet habe, war ich aufgeregter als jetzt mit Joshua. Da wurde noch geschaut und bewertet: Wer kommt mit zur EM, wer bleibt zu Hause? Da ging es um eine Sache. Bei Joshua war ich schon vor Ort und musste mich nur zeigen. Das war eine andere Anspannung. Ich hatte nichts zu verlieren. Ich habe so geboxt, wie ich immer boxe.

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Wie kam es dazu, dass Du Sparringspartner von Joshua wurdest?

Jurk: Ich war schon für das Trainingscamp vor dem Kampf gegen Tyson Fury eingeplant. Fury kann beide Auslagen boxen, wir sind fast gleich groß und ich bin Rechtsausleger. Meine Größe und das als Rechtsausleger, das ist eine seltene Kombination im Schwergewicht. Als der Fury-Kampf dann platzte, war ich schon traurig und enttäuscht. Aber als die WBO Oleksandr Usyk als Pflichtherausforderer aufgestellt hat, hat Bernd mich dem AJ-Lager erneut als Sparringspartner vorgeschlagen, da auch Usyk Rechtsausleger ist. Ich bin zwar ein Stück größer als Usyk, lebe aber so wie er von meiner Beinarbeit und meiner Beweglichkeit.

Nach der Enttäuschung, dass der Kampf gegen Fury platzte, folgte der Glücksfall, dass der nächste Gegner wieder ein Rechtsausleger ist.

Jurk: Als ich gefragt wurde, ob ich eine Woche nach London kommen wolle, habe ich natürlich direkt zugesagt. Das ist die größte Möglichkeit, mich zu zeigen. Am 12. Juli bin ich mittags in London angekommen und direkt in die Halle nach Sheffield gefahren. Ich dachte, alles sei noch entspannt, ich stelle mich erstmal vor. Ich sah AJ und es hieß direkt: Los, Sparring. Oh, dachte ich, das war ein Wow-Effekt.

Aus einer Woche wurden am Ende neun oder zehn.

Jurk: Ich habe irgendwann aufgehört zu zählen. Wir haben Woche für Woche geschaut, wie es lief, und ich durfte immer bleiben. Das war boxerisch hart, ich musste mich viel bewegen, mich taktisch immer wieder umstellen und Joshua zu jeder Zeit fordern. Je mehr ich ihn pushe, desto besser für ihn. Und desto länger durfte ich bleiben. Das war wie bei einer Casting-Show wie DSDS: Wer nicht abliefert, fliegt raus.

Was zeichnet Joshua als Boxer aus?

Jurk: Er ist sehr, sehr stark. Das sollte klar sein. Sein Uppercut und seine rechte Gerade sind außergewöhnlich. Aber vor allem seinen Jab hat er enorm weiterentwickelt. Der ist universal, kommt von überall. Und der Jab ist im Schwergewicht eine der wichtigsten Waffen. Den hat er perfektioniert. Damit wird er Usyk dominieren und zermürben. Und in den letzten Runden wird dann auch die Rechte einsetzen. Und AJs Schläge tun richtig weh (lacht). Auch im Sparring kommen Hände durch. Und wenn ich das schon im Sparring so merke, will ich gar nicht wissen, wie es im Kampf ist.

Wie hoch ist die Intensität im Sparring?

Jurk: Für mich als Sparringspartner ist sie sehr hoch. Ich muss immer so viel Leistung bringen, dass Joshua gefördert und gefordert wird. Und er ist der Weltmeister, der Beste seines Fachs. Um ihm dabei zu helfen, weiterzukommen, muss ich alles geben, was ich habe.

Auch in der Schlaghärte?

Jurk: Wir sind im Schwergewicht alle jenseits der 100 Kilo schwer. Da tut jede Hand weh. Da kann man nicht sagen: Ich schlage jetzt weniger hart zu oder ich schlage so hart zu wie ich kann. Darum geht es im Sparring nicht. Zumal AJ diese Power sowieso hat, schon immer. Man will die boxerischen Fähigkeiten ausbauen. Und die Kondition. Usyk verbessert sich immer hinten raus. Darauf hat sich AJ vorbereitet.

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In einem Trainingscamp herrscht reger Betrieb, neben Dir waren fünf weitere Sparringspartner vor Ort. Wie finden da Umgang und Austausch miteinander statt?

Jurk: Ich spreche deutsch, englisch und russisch fließend, deswegen gab es kaum sprachliche Barrieren, ich habe auch für die zwei Russen, die dabei waren, viel übersetzt. Boxer haben nie Probleme, sich mit anderen Boxern zu verständigen, weil wir alle dasselbe Leben führen, aus ähnlichen Verhältnissen kommen. Wir wollen alle Erfolg und haben unsere Ziele vor Augen. Und jeder Boxer ist positiv verrückt. Diese Verrücktheit prägt und verbindet uns.

Und so wird aus einer Gruppe von Einzelsportlern ein Team?

Jurk: Genau. Im Sparring wird sich untereinander geholfen, Ratschläge werden gegeben, wir pushen uns. Jeder Boxer hat seine eigenen Stärken und Schwächen, da profitiert man voneinander. Mehr Augen auf einen Boxer heißt mehr Meinungen und Ratschläge zum Kampfverhalten.

Wie lief das Leben außerhalb der Halle ab?

Jurk: Montag bis Freitag war Training, da musste man jederzeit bereit sein, jederzeit konnte man in den Ring gerufen werden. Ich habe AJ auch gesagt: Wenn du nachts noch was trainieren willst, ruf mich an, ich komme. Aber am Wochenende war Freizeit, da sind wir auch mal ausgegangen, haben uns Sheffield und Manchester angeschaut, waren in London auf einem Box-Event. Man kann nicht immer nur im Hotel sitzen und warten, bis man wieder trainiert. Ich bin auch noch jung, brauche diese Abwechslung, auch um mental fit zu bleiben. Das gilt allerdings nur für uns Sparringspartner, nicht für AJ. Der war so im Fokus, nach der Halle haben sich die Wege getrennt.

Erreicht man zu einem Champion wie Joshua trotzdem eine persönliche Ebene?

Jurk: Absolut. Er ist so ein bodenständiger, normaler Typ, das finde ich großartig. Ich habe immer gerne mit ihm gesprochen, wir haben über alles Mögliche geredet. Er hat mir viele Ratschläge gegeben. Fürs Boxen, dass ich immer an mich selbst glauben und hart arbeiten soll, dass sich das auszahlen wird. Und außerhalb des Ringes hat er mir zwar nichts gesagt, aber ich habe gesehen, wie er ist, welche Persönlichkeit er hat, und konnte mir da viel abschauen. Er ist Weltmeister im Schwergewicht und zeigt nichts davon. Er kommt ganz normal in die Halle, zieht sich an wie ich früher als Schüler. Rolex, Rolls Royce, so etwas gibt es bei ihm alles nicht.

Stattdessen hat er mit Dir Schach gespielt.

Jurk: Ich habe ihn irgendwann auf dem Handy spielen sehen, dann hat er mir eine Einladung geschickt. Die erste Partie habe ich nach drei Minuten gewonnen, er war schockiert. Und fühlte sich herausgefordert. Am Ende haben wir 35 Spiele gespielt, ich habe 25 gewonnen bei fünf Unentschieden und fünf Niederlagen. Bei meinen Niederlagen hat Joshua aber nicht allein gespielt, sondern zu zweit, das habe ich gesehen (lacht).

Was verbindest Du mit dem Schach-Spiel?

Jurk: Wir haben in der Familie schon immer viel Schach gespielt, meine Oma hat es mir beigebracht, als ich vier war. Auch wenn ich Jahrgang 2000 bin, habe ich die Zeit ohne Handy und Co. noch mitbekommen, da wurden häufiger Brettspiele gespielt.

Wie lässt sich Schach aufs Boxen übertragen?

Jurk: Schach bedeutet Konzentration. Und hat viele Ähnlichkeiten zum Boxen. Du musst jeden Schritt, den du machst, bedenken. Jede Bewegung, jeder Zug hat ein bestimmtes Ziel. Den Gegner aggressiv zu machen, ihn zum Kontrollverlust zu zwingen. Wenn du ihn so weit hast, hast du das Spiel gewonnen. Wenn der Gegner die Kontrolle verliert, werden Fehler gemacht. Der Rest ist dann ein Kinderspiel.

Schach ist ein Spiel, das von Intelligenz und Weitsicht geprägt ist. Welche Rolle spielt die Intelligenz bei einem Boxer?

Jurk: Es gibt Boxer, die denken sich: Komm, Eins gegen Eins, wir stellen uns hin und wir hauen uns so lange auf den Kopf, bis der Kopf abfällt. So bin ich gar nicht, ich kann so nicht boxen. Dafür habe ich auch nicht die Körpergröße. Ich weiß nicht, ob das was mit Intelligenz zu tun hat, aber ich versuche immer, lang zu boxen, den Gegner auszuboxen. Das sieht dann manchmal wie Ping Pong aus: Man geht rein, raus, rein, raus. Ich liebe es, bedacht zu boxen. Bereits zu meinen Zeiten als Amateur in der Bundesliga, war es in der Regel immer laut in der Halle, alle wurden angefeuert. Bei mir war das nicht so. Mein Vater sagte immer: Bei dir war immer Stille in der Halle und jeder hat das Boxen genossen.

Rein, raus, lange boxen, den Gegner ausboxen, immer in Bewegung: Klingt, als wäre dafür eine Menge Kondition erforderlich. Ist dieser Stil nicht eher ungewöhnlich für einen 2,04-Meter-Mann?

Jurk: Es ist viel anstrengender, wenn du stehen bleibst und die Schläge in die Deckung bekommst. Das tut ja auch schon ständig weh. Ich war immer ein beweglicher Boxer, das ist meine Boxschule. Wenn die Gegner ins Leere schlagen, weil ich ausweiche, werden sie schneller müde. Und dann werde ich aktiv.

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Der deutsche Boxsport befindet sich seit einigen Jahren in einer Schaffenskrise. Wo siehst Du die größten Probleme?

Jurk: Nach der Zeit von Arthur Abraham ist das Boxen in Deutschland gekippt. Seitdem gibt es keine TV-Partner mehr, keine großen Promoter. Die Zuschauerzahlen lassen nach, die Leute interessieren sich mehr für Fußball oder Handball, mittlerweile selbst für Darts - was ich übrigens bis heute nicht verstehe. Sobald ein deutscher Box-Promoter wieder einen festen TV-Partner bekommt, so wie sich in England Matchroom mit DAZN verbunden hat, könnte es besser werden. Dann könnten die Promoter wieder gute Boxer unter Vertrag nehmen und gute Kämpfe bezahlen.

Welche Rolle auf dem Weg zurück ins Rampenlicht könnten Nachwuchstalente im Schwergewicht wie Du oder Dein Stallkollege Peter Kadiru für den Boxsport einnehmen?

Jurk: Bernd sagt immer zu mir: Viktor, du bist 2,04 Meter groß, Rechtsausleger, siehst nicht schlecht aus, studierst, bist mehrsprachig, hast kein Problem mit den Kameras. Du hast die Voraussetzungen, um das deutsche Boxen wieder aufzuwecken. Das gilt auch für Peter, der im Superschwergewicht boxt, wir kennen uns schon lange und sind gut befreundet. Wir könnten ein gutes Team für Deutschland sein, das sich vielleicht vermarkten ließe. Aber das ist nicht meine Aufgabe. Meine Aufgabe ist es, zu trainieren und meine Leistung im Ring abzurufen. Ich rede nicht gerne über die Dinge, ich will lieber zur Sache kommen. Ich will, dass die Menschen sehen, dass ich boxen kann. Und dass mir dann die Chance gegeben wird, mich auf dem großen Markt boxerisch zu zeigen.

Du bist seit einem Jahr Profi bei der B+M Sport Management GmbH von Bernd Bönte, dem langjährigen Manager der Klitschko-Brüder, und trainierst unter Christian Morales in Hamburg. Wie steht die Aussicht auf Dein Debüt als Profiboxer?

Jurk: Das zieht sich alles. Ein mögliches Debüt hat wegen Corona nicht stattgefunden, das hat natürlich auch nicht geholfen. Bernd arbeitet dran. Ich kann nicht viel sagen, aber möglicherweise werde ich dieses Jahr noch boxen und möglicherweise wird es dafür eine Plattform geben. Ich würde mich auf jeden Fall sehr drüber freuen, wenn sich die viele Arbeit, die ich in diesen Sport stecke, irgendwo auszahlen würde. Auf einer guten Veranstaltung, auf einer Undercard, mir ganz egal. Ich boxe auch in Mexiko.

Sportlich bist Du also bereit, Dich erstmals als Profi messen zu lassen?

Jurk: Ob Amateur oder Profi, Boxen bleibt Boxen. Ich habe ungefähr 80 Kämpfe als Amateur gemacht, habe viele Erfahrungen gesammelt, bin Europameister, vier Mal deutscher Meister. Ich werde Stück für Stück an den Profisport herangeführt und nicht ins kalte Wasser geworfen. Aber alles hat seine Zeit und in diesem Sport ist Geduld ein wichtiger Faktor. Ich bin erst 21, habe noch ein paar Jahre vor mir. Und eines Tages werde ich hoffentlich um eine WM boxen. Ich will Weltmeister werden.

Viktor Jurk, nach zehn Wochen Sparringsarbeit mit Dir tritt Anthony Joshua heute Abend gegen Oleksandr Usyk an, um seine WM-Gürtel zu verteidigen. Wie ist deine Prognose für den Kampf?

Jurk: Der Kampf wird vorzeitig für AJ enden. In der achten, neunten oder zehnten Runde geht Usyk K.o.

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