Aus Madrid berichtet Paul Bartmuß
Ein Torero hätte vielleicht noch gefehlt. Und ein Stier. Zehntausende wehende spanische Fahnen und noch mehr spanische Fans hatten eine fast schon martialische Einlaufstimmung bereitet, als die Spielerinnen am Dienstagabend den Platz des Estadio Metropolitano betraten. Weder mit dem Lärm noch der Show konnte das Hinspiel in Kaiserslautern mithalten. Das machte Eindruck.
Die erste La Ola folgte nach 19 Minuten, als sich das temporeiche Spiel gerade eine erste Verschnaufpause nahm. Zu dem Zeitpunkt hatte Spanien schon zwei gute Chancen durch Esther (5.) und Alexia (6.) gehabt. Drei weitere sollten bis zum Ende der ersten Hälfte folgen, eine auf der Gegenseite durch Nicole Anyomi. Und trotzdem sprachen Bundestrainer Christian Wück und seine Spielerinnen hinterher von einer Halbzeit "auf Augenhöhe". Wie passt das zusammen?
Nüskens Einschätzung verklärt die Tatsachen
Sicher, die DFB-Elf wurde nicht hinten eingeschnürt. Und sicher, sie half sich gegenseitig in Zweikämpfen, zog nicht zurück und fand regelmäßig den Vorwärtsgang. Trotzdem: Spanien war überlegen und brachte Deutschland in unschöner Regelmäßigkeit zum Wackeln. Vor allem durch Ballverluste im Mittelfeld, etwa von Sjoeke Nüsken oder Jule Brand.
"Ich habe die ersten 30 Minuten definitiv auf Augenhöhe gesehen", blieb Wück auf kicker-Nachfrage eisern. "Ich glaube, da hatten wir auch eine gewisse Spielkontrolle." Die Bilanz der Torchancen von 3:0 pro Spanien bis dahin hielt ihn nicht davon ab. Und Nüskens Einschätzung verklärte die Tatsachen noch etwas mehr: "Ich fand, dass wir heute ein gutes Spiel gemacht haben." Ihre Mannschaft habe wenig zugelassen, auf die geringere Kompaktheit mit Anpassungen schnell reagiert. "Die haben eine gute Chance und machen das Tor", sagte Nüsken über die erste Hälfte. Ganz so war es dann nicht. Aber wo beginnt eigentlich Augenhöhe?
Womit sie allerdings zweifelsohne recht hatte: Nach dem 0:1 habe sich Spanien in einen Flow gespielt. Tatsächlich fiel es ab dem ersten Tor durch Claudia Pina (61.) schwer, noch an eine Wende zu glauben. "Wenn man heute die technischen Fähigkeiten der Spanierinnen gesehen hat, hat man schon einen Unterschied zu uns gesehen", gab Wück zu. Der Bundestrainer sieht in diesem Punkt schon seit seinem Amtsantritt im August 2024 Nachholbedarf.
„Ich kann mich erinnern, dass die deutsche Frauenfußball-Nationalmannschaft mal für sehr viele Tore bekannt war.“ (Christian Wück)
Wer neun Torchancen - Hin- und Rückspiel zusammengerechnet - gegen den Weltmeister herausspielt, hat zugleich eindeutig vieles richtig gemacht. Deswegen war auch der Stolz über den Finaleinzug und das generelle Auftreten in den beiden Endspielen berechtigt. Wenn aber aus neun Chancen null Tore herausspringen, wird ein großes Manko offensichtlich. "Ich kann mich erinnern, dass die deutsche Frauenfußball-Nationalmannschaft mal für sehr viele Tore bekannt war", sagte Wück. "Da müssen wir einfach wieder hinkommen."
Im Sturm blieb Anyomi in ihren Aktionen unglücklich, während Selina Cerci auf dem rechten Flügel zeigte, dass dort nicht ihre ideale Position liegt. Auf der Bank allerdings boten sich wenige formstarke Alternativen von internationalem Niveau an. "Wir haben gemerkt, dass wir auf der einen oder anderen Position nicht so top besetzt sind, wie wir es brauchen, um den Pokal in den Händen zu halten", resümierte der Trainer. Damit meinte er sicher auch die Sturmspitze und die Position rechts offensiv.
Lea Schüller, Giovanna Hoffmann und Carlotta Wamser waren für die Duelle mit Spanien ausgefallen. Shekiera Martinez und Cora Zicai in ihrem zweiten respektive sechsten Länderspiel setzten sich als Joker nicht so in Szene wie erhofft. Von ihnen in einem solchen Finale die Wende zu erwarten, wäre aber auch vermessen gewesen. Und so blieb es dabei: wieder kein Titel für Deutschlands Frauenfußball - und doch eine sehr respektable Nations-League-Saison.