Noch im September hatte Ruben Amorim gescherzt, nicht mal der Papst könne ihn von seiner geliebten Dreierkette abbringen. Dass das Oberhaupt der katholischen Kirche ausgerechnet am zweiten Weihnachtsfeiertag die Zeit für ein Gespräch mit dem portugiesischen Coach gefunden haben sollte - äußerst unwahrscheinlich. Fast genauso unwahrscheinlich wie eine Mannschaft von Manchester United, die unter Amorim mit Viererkette aufläuft. Doch am Boxing Day gegen Newcastle United geschah genau das.
Zum ersten Mal in seinen 13 Monaten als Coach der Red Devils bot Amorim ein 4-2-3-1 auf. Und nicht nur das war ungewöhnlich. Nur 33 Prozent Ballbesitz wiesen die Statistiken zum Ende des Spiels aus - so wenig wie noch nie unter Amorim. Den 15 eigenen Ballkontakten im gegnerischen Strafraum standen 43 der Magpies gegenüber. Trotzdem stand am Ende ein 1:0-Sieg für United - es war erst das zweite Zu-null-Spiel für das Team mit den meisten Gegentoren unter allen Mannschaften der oberen Tabellenhälfte.
"Im Vergleich zu anderen Spielen haben wir heute viel mehr gelitten", sagte Amorim im Nachgang zur Defensivleistung seines Teams. "Wir hatten so viele Spiele, in denen wir den Gegner besser kontrolliert haben als heute, aber jetzt fühlt es sich gut an, die weiße Weste gehalten zu haben."
Besonders beeindruckt war Amorim dabei von seiner Innenverteidigung aus dem 19-jährigen Ayden Heaven und dem zuletzt ins zweite Glied abgerutschten Lisandro Martinez, der gegen Newcastle den Vorzug vor Leny Yoro erhalten hatte - trotz eines Defizits in Sachen Körpergröße und der Tatsache, dass selbst der 1,90 Meter große Yoro von Magpies-Stürmer Nick Woltemade noch deutlich überragt wurde.
23 Zentimeter Unterschied - doch Martinez überspringt Woltemade
Doch Martinez schlug sich gegen den deutschen Nationalspieler hervorragend. Symptomatisch eine Szene im ersten Durchgang, als der Argentinier seine 1,75 Meter in die Höhe schraubte, um ein Kopfballduell gegen den 23 Zentimeter größeren Woltemade zu gewinnen, was ihm nicht nur Lob in den sozialen Medien einbrachte, sondern auch von seinem Coach. "Er ist ein kleiner Kerl, aber er hat es gegen eine Mannschaft mit vielen großen Spielern sehr gut gemacht", sagte Amorim. "Er ist wirklich gut am Ball. Und er hat eine Weltmeisterschaft gewonnen, also ist er an diesen Stress gewöhnt. Heute hat er gezeigt, dass er ein Spitzenspieler ist."
Woltemade hingegen verließ den Platz bereits in der 68. Minute nach einer blassen Vorstellung, in der er zu allem Überfluss auch noch an Newcastles Gegentor beteiligt war, als er einen weiten Einwurf vor die Füße von Patrick Dorgu klärte, der mit einem feinen Volley das Tor des Tages markierte. Auch nach seiner Auswechslung blieben Newcastles Bemühungen nicht von Erfolg gekrönt.
"Wir haben jede Flanke verteidigt", schwärmte Amorim. "In der zweiten Halbzeit haben wir es teilweise geschafft, mit einer Sechserkette zu verteidigen." Aus Dreierkette wird Viererkette wird Sechserkette. Amorims Bruch mit dem eigenen Dogma war am Ende erfolgreich. Auch ohne Einflüstern aus dem Vatikan.