Zu behaupten, Rot-Weiss Essens Cheftrainer Uwe Koschinat (54) könnte in dieser Saison bei seinen Einwechslungen wegen der Qualität und der Breite im Kader praktisch gar nichts falsch machen, wäre sicherlich übertrieben. Dennoch ist es extrem auffällig, welchen erheblichen Einfluss die stark besetzte Bank der Essener auf den bislang positiven Saisonverlauf nimmt.
Torgefährlichste Bank der 3. Liga
So war es jetzt auch beim durchaus glücklichen 3:2-Auswärtserfolg beim 1. FC Saarbrücken, zu dem die drei "Joker" Ahmet Arslan, Franci Bouébari und Marvin Obuz in der Schlussphase zwei Treffer und eine Torvorlage beisteuerten. Koschinat bewies das berühmte "glückliche Händchen", zum wiederholten Mal.
Das zeigt ein Blick auf die Zahlen. Sowohl bei den von Einwechselspielern erzielten Toren (elf) als auch bei den direkten Torbeteiligungen (18) sind die Rot-Weissen die Nummer eins in der 3. Liga. Noch frappierender: Die elf Joker-Tore verteilen sich auf zehn verschiedene Akteure, nur Mittelstürmer Marek Janssen war schon zweimal als Einwechselspieler erfolgreich. Hinzu kommen mit Nils Kaiser, Ramien Safi und Jannik Hofmann noch drei weitere RWE-Kicker, die zwar keinen Treffer, aber immerhin schon einen Assist nach ihren Einwechselungen auf dem Konto haben. Das heißt: 14 verschiedene Spieler, die nachträglich auf den Platz kamen, waren direkt an Toren beteiligt. Wohl dem, der eine solche Auswahl auf der Bank hat.
Qual der Wahl für Koschinat
"Obwohl wir nicht den klassischen Joker-Typen im Kader haben, können wir Spiele von der Bank entscheiden", fasste es Koschinat nach dem Erfolg an seiner früheren Wirkungsstätte treffend zusammen. Dieser Sieg kam den Trainer dank einer RWE-Tradition übrigens teuer zu stehen. Für beachtliche zwölf Punkte waren die Einwechselspieler bereits gut.
Hatte der Trainer während der überaus erfolgreichen Rückrunde der letzten Saison (39 Punkte) weitgehend stets auf das gleiche Personal vertraut (oder auch vertrauen müssen), sorgte die kluge Transferpolitik im Sommer dafür, dass der Konkurrenzkampf im Kader erheblich stärker und die Auswahl für Koschinat entsprechend größer wurde. Bester Beleg: Innenverteidiger José-Enrique Rios Alonso ist der einzige RWE-Profi, der in allen 16 Ligaspielen von Beginn an auf dem Platz stand (und auch jeweils durchspielte). Sonst war nur Torhüter Jakob Golz immer erste Wahl, wenn er zur Verfügung stand. Die ersten beiden Partien verpasste er allerdings krankheitsbedingt.
In Saarbrücken erwischte es erstmals auch Spielmacher Arslan, dessen Formschwäche in den letzten Wochen der Trainer trotz seiner großen Wertschätzung für den ehemaligen Torschützenkönig nicht mehr ignorieren konnte. Arslan zog sich aber nicht in den "Schmollwinkel" zurück, sondern zeigte Verständnis für Koschinats Entscheidung ("Er schenkt mir immer viel Vertrauen"), übernahm beim Handelfmeter zum 2:2 wie selbstverständlich Verantwortung und leitete schließlich auch den entscheidenden Konter ein, den mit Obuz und Bouébari zwei weitere Joker, die eigentlich Anspruch auf einen Stammplatz anmelden, mustergültig vollendeten.
Aber nicht nur das gefiel dem Essener Trainer, sondern auch das Verhalten auf der Bank. Dass ausgerechnet die beiden Mittelfeldspieler Luca Bazzoli und Gianluca Swajkowski, die aktuell in den sportlichen Planungen allenfalls eine untergeordnete Rolle spielen und auch in Saarbrücken nicht zum Einsatz kamen, mit am ausgelassensten mit dem Torschützen Bouébari feierten, wertete nicht nur der Trainer als gutes Zeichen für die Teamchemie.
Erneut ließen sich die Essener auch nicht von Rückschlägen aus der Bahn werfen. Hatte es im letzten Heimspiel gegen den FC Energie Cottbus (2:3) trotz einer Aufholjagd nicht mehr ganz für die Wende gereicht, sprang diesmal zum zweiten Mal in dieser Saison noch ein Dreier heraus (zuvor 4:3 beim SV Wehen Wiesbaden), obwohl der Revierklub zwischenzeitlich sogar zweimal ins Hintertreffen geraten war. Die insgesamt neun Punkte, die Rot-Weiss Essen nach Rückständen holte, wurden nur vom SC Verl (elf) übertroffen. "Die Moral stimmt", stellte Koschinat zufrieden fest.
Schon drei Spieltage vor dem Abschluss der ersten Saisonhälfte hat seine Mannschaft am Freitag, 19 Uhr (LIVE! bei kicker), im Heimspiel gegen den VfB Stuttgart II die Chance, die Marke von 30 Punkten zu überspringen und damit die beste Drittliga-Hinserie der Vereinsgeschichte zu spielen. Dieses Ziel hatte der RWE-Vorstand um Marc-Nicolai Pfeifer vor einigen Wochen bis zur Winterpause ausgegeben. Gleichzeitig würden die Essener auch ihre eindrucksvolle Ausbeute im Jahr 2025 (aktuell 68 Zähler) weiter ausbauen. An diesen Wert kommt kein anderer Drittligist heran.